Gedicht von Pětr Młónk in der obersorbischen Zeitung „Tydźeńska Nowina“, 1848; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut
Literarisches Schaffen von Laien aus dem bäuerlichen, Handwerker- oder
Arbeitermilieu, das sich in seinen besten Beispielen durch bildhafte
Beschreibung, ursprüngliche Sichtweise und anschauliche Volkssprache
auszeichnet.
Gegen Ende des 18. Jh. traten erstmals – im Unterschied zur überlieferten
Volkspoesie (→ Volkslied) – Dichter aus dem
Volk, zunächst als Verfasser pietistisch-religiöser Lieder, in der Oberlausitz öffentlich in Erscheinung (→ Pietismus). Unterstützt von Pfarrer
Handrij Lubjenski gab 1825
Jan Bohuwěr Dalwica-Dólba, ein
Häusler aus Cortnitz, anonym
„Někotre nowe duchomne kěrluše“ (Einige neue geistliche Lieder) gedruckt heraus.
Mit dem Wegfall der Zensur 1848/49 bot die sorbische Presse (→ Zeitungen) ein geeignetes Forum für die Volksliteratur,
unterstützt von Jan Arnošt Smoler als
Redakteur. Er initiierte sogar eine spezielle Kommunikation zwischen den
Autoren: War von einem Schreiber eine Zeit lang nichts zu lesen, forderte ihn
ein anderer schriftlich heraus, auch auf Kritik wurde in Versform geantwortet.
Neben bestellten Gelegenheitsversen zu Hochzeiten oder Begräbnissen übten sich die Verfasser in Einladungen
zur Kirmes, in Werbung sowie in
Wahlpropaganda. Von Interesse sind besonders Texte, die eine direkte Sicht „von
unten“ auf die Lage der Bauern, des Gesindes, der Dorfhandwerker und
Halbproletarier bieten – eindrucksvoll z. B. die Gedichte über das
Maurerhandwerk von Jakub Rachlowc aus
Guttau. Die offen
sozialkritischen Töne wurden nach 1850 zwar selten, der dichterische Dialog aber
lebte in der Zeitung weiter.
Biografie und Werkausgabe von Hańža Budarjowa, herausgegeben von Elke Nagel, ENA-Musikverlag 2002
Lieder und Geschichten von Jurij Šěn, Domowina-Verlag 2007
Hauptvertreter der Volksliteratur wurde Pětr
Młóńk aus Seitschen.
Als eine Art „Chronist des Dorflebens“ verfasste er Hunderte Texte in Tradition
des Kirchenlieds und der romantischen
Poesie Handrij Zejlers und Jan Wjela-Radyserbs, die Smoler schließlich
gesammelt herausgab („Kěrluše a spěwy“, 1879, Kirchenlieder und Lieder). Von ihm
inspiriert wagte auch die junge Magd Hańža
Šołćic-Budarjowa aus Lohsa, ihre Verse über Familienereignisse im Kirchspiel,
zunächst vorgetragen in der Spinnstube, in
die Zeitung zu stellen, was aber Młóńk missfiel. Eingang in den Kanon sorbischen
Liedguts fanden Gedichte des Müllergesellen Jan
Hajnca aus Neschwitz
(„Jana Hajncy serbske basnje a pěsnje“, 1925, Jan Hajncas wendische Gedichte und
Lieder).
Ab den 1880er Jahren bereicherte die Volksliteratur mit lyrischen Prologen,
Scherzdichtung und humoristischen Szenen Veranstaltungen des Vereinswesens. Bemerkenswert sind die nach 1870 in
der sorbischen Presse von Volksautoren abgedruckten Antikriegsgedichte.
Hörbuch mit niedersorbischen Kalendergeschichten, Domowina-Verlag 2010
In der Weimarer Republik förderte
der Literaturhistoriker, Redakteur und Autor Ota
Wićaz diese Tradition. In der Niederlausitz trat seit 1936 der Landwirt Wylem Nowak-Neumann aus Döbbrick im Kalender „Pratyja“ und später in der niedersorbischen Wochenzeitung
mit Feuilletons und Gedichten auf („Wubraśe jogo źěłow“, 1997, Auswahl seiner
Arbeiten).
Nach 1945 bot die staatliche Presse zunächst wenig Möglichkeiten zur
Veröffentlichung literarischer Arbeiten von Laien, die über den privaten bzw.
lokalen Anlass hinausreichte. Ab 1959 führte die erste Bitterfelder Konferenz, die Laien zum
Schreiben animierte, zu einer Bewegung schreibender Arbeiter und Bauern. Unter
Leitung des Hauses für
sorbische Volkskunst entstanden nach 1961 sorbische Zirkel schreibender
Werktätiger, die jedoch angesichts strenger kulturpolitischer Vorgaben nach 1965
wieder zerfielen; eine Ausnahme war der 1963 gegründete Rosenthaler Zirkel. Als
Publikationsmöglichkeiten boten sich in den 1960er Jahren die sorbischen
Zeitungen, später auch Buchkalender und spezielle Anthologien. Gesammelt
erschienen die Arbeiten von Marja
Brězanowa („Po šćežkach“, 2005, Auf Pfaden) und Jurij Šěn („Hišće jónu, hišće raz“, 2007,
Noch einmal und noch einmal).
Lit.: O. Wićaz: Wo serbskim ludowym basnistwje, Budyšin 1922; K. Lorenc: Aus dem
demokratischen dichterischen Volksschaffen der Sorben in der Oberlausitz in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Slawistik 8 (1963) 2;
P. Nedo: Grundriß der sorbischen Volksdichtung, Bauten 1966; F. Šěn: Ludowa
tworiwosć po lěće 1945 abo wot ludoweho basnika ke kružkarjej, in: Přinoški k
stawiznam serbskeho pismowstwa lět 1945–1990, Budyšin 1994; D. Scholze: Stawizny
serbskeho pismowstwa 1918–1945, Budyšin 1998; Hańža Budarjowa (Budarka) – Agnes
Buder, eine Volksdichterin aus Lohsa, Hg. E. Nagel, Litschen 2002.