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Volksbauweise
von Hans Mirtschin

Bäuerliches Bauen in vorindustriellen Gesellschaften als Element der materiellen Kultur eines Volkes. Sorbische Volksbauweise ist die bei den Sorben in der Ober- und Niederlausitz angewandte traditionelle Bauweise der Wohn- und Wirtschaftsgebäude. Sie beginnt nach der Einwanderung der sorbischen Stämme im 7. Jh. (→ Besiedlung). Infolge der Vergänglichkeit der Materialien und des historischen Wandels sind frühe Formen kaum noch vorhanden. Die Volksbauweise löst sich seit Mitte des 19. Jh. durch das Eindringen unspezifischen bäuerlichen Bauens und moderner Konstruktionen auf. Gelegentliche Anknüpfungen an die Volksbauweise, etwa die Errichtung von Blockhäusern im Spreewald, entspringen nostalgischen Reminiszenzen und haben mit den ursprünglichen Bedingungen wenig zu tun.

Blockhaus in Burg-Kolonie (Spreewald), um 1954; Fotograf: Ernst Tschernik, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Stallgalerie mit Bienenstand in Lehde, ohne Datum; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Im sorbischen Siedlungsgebiet haben sich Beispiele einer vergleichsweise einheitlichen Volksbauweise erhalten. Das charakteristische Merkmal ist der hohe Anteil des Holzbaus. Im Spreewald, in der Niederlausitz und in den Heidegebieten der nördlichen Oberlausitz waren die Bauernhäuser Blockbauten. Dieses Blockbaugebiet zieht sich bis ins Hoyerswerdaer Land und in die Muskauer Standesherrschaft. Südlich davon beginnt die Umgebindehauslandschaft. Beim Blockhaus werden die Wände aus gebeilten (geschroteten) Hölzern hergestellt, die durch unterschiedliche Verblattungen an den Ecken zu einer stabilen Konstruktion verbunden sind. Es stellt einen in sich stabilen Baukörper dar, der auf einem Schwellenkranz aufliegt. Dieser ist an Ecken bzw. Kreuzungspunkten der Hölzer auf Steinpackungen gelagert, wodurch das Abfaulen der Schwelle verhindert wird. Die Konstruktion bewährte sich v. a. im Spreewald mit seinen regelmäßig auftretenden Überschwemmungen, sie hat sich dort bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jh. gehalten.

Der Lausitzer Blockbau ist ein Relikt des skandinavisch-osteuropäisch-alpenländischen Holzbaugebiets, zu dem ursprünglich auch die Umgebindehauslandschaft der Oberlausitz gehörte. Das Umgebindehaus ist eine Kombination von Block- und Fachwerkbau, bei der eine erdgeschossige Blockstube mit einer Fachwerkkonstruktion überbaut wird, die von einer Säulenkonstruktion getragen ist. Die Ständerkonstruktion des Umgebindes ist eine eher dem Fachwerk als dem Blockbau verwandte Form. Die Kombination macht das Umgebindehaus zu einer hybriden Bauform. Sein Einzugsbereich umfasst die von Sorben bewohnte Gefildelandschaft zwischen der Heide im Norden und dem Bergland im Süden, sie setzt sich über die seit der Kolonisation deutsch besiedelte Region bis in die böhmischen und schlesischen Mittelgebirge fort.

Bauernhof in Cunnewitz, 1967; Fotograf: Błažij Nawka, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Umgebindehaus in Klein Partwitz (Hoyerswerdaer Region), 1952; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die Erklärung des Umgebindebaus aus dem Zusammentreffen vermeintlich slawischer (Blockbau) und deutscher (fränkischer) Bauweise in der slawisch-deutschen Kontaktzone ist wegen der Blockbautradition außerhalb des slawischen Siedlungsgebiets problematisch. Sie ermöglicht es aber, die Entstehungszeit in die Phase der Ankunft deutscher Bauern aus dem Westen des Reiches (12. und 13. Jh.) zu legen. Die Stabilität des Umgebindes wird durch die Wandverspannung im oberen Teil der Konstruktion erreicht, was eine Grundschwelle erübrigt. Dies kennzeichnet das Umgebinde als Übergangsform vom urgeschichtlichen Pfostenbau, bei dem die Ständer im Erdreich verankert waren, zum Fachwerkbau des Mittelalters, bei dem sie auf einer Holzschwelle aufsaßen. Die Verzimmerung mit einer Schwelle war ein Phänomen des 13. und 14. Jh. Dieser Zeitpunkt korrespondiert mit dem Eintreffen der deutschen Kolonisten in der südlichen Lausitz, in Schlesien und Nordböhmen. Vermutlich hat die frühe Verbindung des Ständerbaus mit der Blockwand bzw. Blockstube dazu geführt, dass hier die in den westlichen Fachwerklandschaften vollzogene Entwicklung zum Ständerbau auf einer Grundschwelle ausblieb.

Koch- und Heizofen mit Wandkamin aus der Schäferei Reichwalde, Zeichnung von Eberhard Dučman, 1959; Reproduktion aus: Lausitzer Holzbaukunst, 1959

Der Umgebindebau tritt in zwei Formen auf: Die Ursprungsform ist der Geschossbau, bei dem die Ständer von ihren steinernen Auflagen bis zur Traufe reichen. Beim Stockwerksbau enden sie über dem Erdgeschoss in einem Rähm, mit dem sie verzapft sind. Das Obergeschoss liegt dem Umgebinde als selbstständig abgebundene Fachwerkkonstruktion auf. Eine Sonderform ist das Giebelumgebinde, das bei Blockbauten zur Aufnahme der Dachlasten angewandt wurde.

Die regelhafte Dachkonstruktion bei Blockbauten und Umgebindehäusern ist die Ausbildung von Firstsäulen in Giebeln und Bindern, die über den massiven Wänden des Untergeschosses liegen. Eine sog. Reiter- oder Gitterrähmkonstruktion dient dazu, Dachlast, Wind- und Schneelast auf die Firstsäulen und über diese auf das Fundament zu übertragen. Die Dachdeckung war eine Schauben-Strohdeckung. Seit Mitte des 19. Jh. breitete sich unter dem Einfluss von Brandversicherern das Ziegel- bzw. Schieferdach aus.

Die Einrichtung des Hauses blieb über Jahrhunderte konstant und landschaftlich kaum unterschieden. Der Hauptraum war die Blockstube, in die man durch den mittig im Haus angeordneten Flur gelangte. Rechts vom Eingang stand der Ofen, links ein Regal für Geschirr und Küchengerät. An der Wand befand sich eine lange Bank, in der Ecke der Tisch, um den sich die Bewohner zu den Mahlzeiten versammelten. Neben dem Ofen lag die Schlafnische, die in einer späteren Phase von der Stube abgeteilt wurde. Weitere Elemente waren Tellerbretter unter der Stubendecke und Trockenstangen am Ofen.

Fachwerkhaus in Nedaschütz, 1960; Fotograf: Błažij Nawka, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die Feuerstätte, die der Heizung und der Speisenzubereitung diente, war zunächst ohne Abzug. Der Rauch zog durch die Ritzen der Stubendecke in das Dach ab. Die Rauchstuben wurden aber schon im 15. Jh. durch den „Hinterlader“ abgelöst. Ein Lehmofen mit eingelassenen Topfkacheln in der Wohnstube wurde nun vom Flur aus beheizt, darin wurde auch gekocht. Der Rauch trat in den Flur aus und wurde durch einen in Lehmwellermanier gebauten Schornstein abgeführt. Von der Verrußung des Flurs stammt der Name „Schwarze Küche“. Später wurde zur Regulierung des Rauchflusses der Herd mit einem sog. Vorgelege umbaut. Nach der Verlagerung der Ofenöffnung, deren Feuerschein ursprünglich auch der Beleuchtung der Stube diente, in den Hausflur musste neben dem Ofen ein Wandkamin angebracht werden, in dem ein kleines Feuer unterhalten wurde. Um 1800 trat an die Stelle des offenen Schlots ein gemauerter Schornstein. Der Heiz- und Kochherd mit „Hinterlader“ wurde durch den von der Stube aus beheizten Kachelofen einerseits und den Kochofen im Hausflur andererseits ersetzt.

(Unbewohntes) Blockhaus in Rohne, 1961; Fotograf: Błažij Nawka, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Bauernhaus mit Obergeschosslaube in Schweinerden, ohne Datum; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Jenseits des Flurs befanden sich die Stallungen für Kühe und Kleinvieh. Dem Wohnstallhaus vorausgegangen waren Ein- oder Zweistubenhäuser, während das Vieh in schuppenähnlichen Gebäuden Platz fand. Im Spreewald und im Blockbaugebiet der Heide ist das heute noch fassbar, während im Umgebindehausgebiet das Wohnstallhaus wohl stets obligatorisch war. Die Ställe wurden in Mischbauweise von Blockbau und Fachwerk, seit dem 19. Jh. – unter dem Einfluss behördlicher Vorschriften – massiv errichtet. Die Pferdeställe gehörten zu separaten Wirtschaftsgebäuden. In den Obergeschossen befanden sich Stuben oder Speicher. Charakteristisch für die Obergeschosse waren Galerien. Im Spreewald wurden deren Brüstungen mit Andreaskreuzen geschmückt. Die lang gestreckten Wohnspeicherhäuser wiesen dort mit ihren vor den Wohnstuben angeordneten Giebelkammern eine Besonderheit auf. Zum Wohnstallhaus und dem parallel dazu stehenden Stall- und Wirtschaftsgebäude, dessen dem Dorfanger zugewandter Giebelteil gelegentlich das Ausgedinge aufnahm, trat relativ spät das Scheunengebäude im hinteren Hofbereich. In den Dörfern nordwestlich von Hoyerswerda wurden die Scheunen losgelöst von der Hofbebauung im Garten errichtet und bildeten einen Kranz um den Dorfkern.

Als Gehöftformen treten Einhäuser, Haufenhöfe, aber auch regelmäßige Dreiseitanlagen auf. Ihre Zuordnung zu den verschiedenen Landschaften ist nur bedingt möglich, wobei sich die Haufenhöfe der großräumigen Spreewaldlandschaft besser anpassen als dem waldfreien Lößlehmgebiet der Oberlausitz, wo geschlossene Höfe die Regel sind. Im sog. Torhausgebiet der mittleren Lausitz zwischen Schleife und Lauta wurden die Höfe zum Dorf durch Torhäuser begrenzt, die hofseitig mit einer Galerie versehen waren. Sie dienten als Durchfahrten und Speicher. An ihnen hatte der im 19. Jh. einsetzende Prozess der Versteinerung Anteil, sodass die Dorfstraßen inzwischen oft eine fast städtisch anmutende, geschlossene Bebauung aufweisen. Im Zuge der Versteinerung wurden in der Oberlausitz die kräftig gegliederten Fachwerk- bzw. Umgebindehäuser durch farbige Putzbauten abgelöst, während in der wirtschaftlich benachteiligten Mittel- und Niederlausitz die Blockbauten durch anspruchslose Ziegelbauten ersetzt wurden. Nur im Spreewald errichtete man noch bis ins 20. Jh. Blockbauten, was den besonderen topografischen Bedingungen geschuldet war.

Torhäuser in Scado, 1964; Fotograf: Błažij Nawka, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Durch den Wechsel der Bauweisen, die zunehmende Verfügbarkeit von Baumaterialien, den Wandel der hygienischen und ästhetischen Anforderungen, die Veränderungen in der Landwirtschaft bzw. den Übergang der dörflichen Bevölkerung in die Industrie hat das Bauen einen grundsätzlichen Wandel erfahren. Hinzu kommt der natürliche Alterungs- und Verschleißprozess des Holzes, der kaum aufzuhalten ist. All das hat dazu geführt, dass wenige Beispiele dieser Bauweise aus früheren Jahrhunderten überliefert sind. Die ältesten Bauten entstammen dem 16. Jh. Weil in den von Sorben bewohnten Gebieten die Gutsherrschaft besonders ausgeprägt war, blieben die bäuerlichen Anwesen oft dürftig. Das hat ihre Anpassung an moderne Wohnverhältnisse erschwert. Zum Verlust der Volksbauweise hat seit Ende des 19. Jh. die Devastierung durch den Braunkohlenbergbau beigetragen, dem seit 1924 über 100 Dörfer und Dorfteile zum Opfer gefallen sind. Dies gilt besonders für die Mittellausitz, in der sich durch die Stadtferne eine spezifische Ausprägung der Volksbauweise als lebendiges Bauen am längsten erhalten hatte.

Fachwerkgehöft Alte Schmiede in Zerna, ohne Datum; Fotograf: Wilfried Rabovsky, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der sorbischen Volksbauweise begann im 19. Jh. mit Leopold Haupts und Jan Arnošt Smolers Sammlung „Volkslieder der Wenden in der Ober- und Nieder-Lausitz“ (1841/43). Ihr ist eine Abhandlung über „Lebensart, Sitten und Gebräuche der Wenden“ angefügt, worin die Wohnbauten der sorbischen ländlichen Bevölkerung beschrieben werden. 1889 widmete sich der Tscheche Adolf Černý erstmals monografisch dem Thema der Lausitzer (sorbischen) Volksbauweise 1896 fand in Dresden die Ausstellung des Sächsischen Handwerks und Kunstgewerbes statt, die im Bereich „Wendisches Dorf“ Nachbauten sorbischer Bauernhäuser aus Heide und Spreewald, aber auch die original umgesetzte Blockbau- und Umgebindeschule aus Ralbitz zeigte. Mit dieser Präsentation erwachte das Interesse der deutschen Volkskunde am Gegenstand. Grundlegendes zur Erforschung der Volksbauweise hat Eberhard Dučman in den 1950er Jahren mit seiner Monografie über Lausitzer Holzbaukunst beigetragen.

Lit.: A. Černý: Wobydlenje łužiskich Serbow, in: Čacopis Maćicy Serbskeje (1889); E. Deutschmann: Lausitzer Holzbaukunst unter besonderer Würdigung des sorbischen Anteils, Bautzen 1959; L. Balke: Bauen und Wohnen in Heide und Spreewald, Bautzen 1994; Bildwörterbuch der Oberlausitzer Umgebindebauweise und der angrenzenden tschechischen und polnischen Gebiete, Hg. Sächsischer Verein für Volksbauweise e. V., Dresden 1995; H. Mirtschin/​R. Hartmetz: Zeitmaschine Lausitz. Lausitzer Holzbaukunst. Die traditionelle Holzbauweise in der Nieder- und Oberlausitz, Dresden/​Husum 2003.

Metadaten

Titel
Volksbauweise
Titel
Volksbauweise
Autor:in
Mirtschin, Hans
Autor:in
Mirtschin, Hans
Schlagwörter
Architektur; Haus; Bauernhaus; Gebäude; Volkskunde; Hausbau; Sachkultur; Holz
Schlagwörter
Architektur; Haus; Bauernhaus; Gebäude; Volkskunde; Hausbau; Sachkultur; Holz
Abstract

Bäuerliches Bauen in vorindustriellen Gesellschaften als Element der materiellen Kultur eines Volkes. Sorbische Volksbauweise ist die bei den Sorben in der Ober- und Niederlausitz angewandte traditionelle Bauweise der Wohn- und Wirtschaftsgebäude.

Abstract

Bäuerliches Bauen in vorindustriellen Gesellschaften als Element der materiellen Kultur eines Volkes. Sorbische Volksbauweise ist die bei den Sorben in der Ober- und Niederlausitz angewandte traditionelle Bauweise der Wohn- und Wirtschaftsgebäude.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
Im Sorabicon 1.0 zu finden unter

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