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Milzener
von Dietrich Scholze

Westslawischer Stamm, der nach 600 in das Gebiet der spĂ€teren Oberlausitz einwanderte (→ Besiedlung). Die Milzener, deren Urheimat wie bei den anderen slawischen StĂ€mmen nördlich der Karpaten zwischen Weichsel und Dnepr vermutet wird, gelangten im Zuge der Völkerwanderung bis an die Spree. Sie gehörten wie die Lusizer zu den grĂ¶ĂŸeren der rund 20 altsorbischen StĂ€mme, die den sĂŒdlichen Teil der Elbslawen bzw. Polaben bildeten (zwischen Saale/​Elbe und Bober/​Queis). Das dicht besiedelte Kerngebiet der Milzener erstreckte sich in einem ca. 20 km breiten und 40 km langen, fruchtbaren Gefildestreifen zwischen dem spĂ€teren Kamenz im Westen und dem Weißen Schöps westlich von Görlitz im Osten, dem Oberlausitzer Bergland im SĂŒden und einem ausgedehnten Heidewald im Norden. Zentrum war die Stammeshauptburg Budissin (→ Bautzen). Der bisher nicht eindeutig geklĂ€rte Stammesname – slawisch Milčane, lateinisch Milzeni oder Milzini – ist eventuell nicht slawischer Herkunft. Er verschwand nach der Unterwerfung um das Jahr 1000, danach bestand bis ins 12. Jh. noch der Landschaftsname Gau Milska oder Milzenerland.

Siedlungsgebiet der Milzener im 10. Jh. (mit BurgwÀllen); Karte: Iris Brankatschk

Ähnlich wie die Lusizer besaßen die Milzener Mitte des 9. Jh. laut dem sog. Bayerischen Geographen 30 Burgbezirke oder Hauptorte (Civitates), die jeweils mehrere Dörfer umfassten (sorb. ĆŸupa); in der RealitĂ€t lag diese Zahl in der Oberlausitz doppelt so hoch. Der Stamm zĂ€hlte damals wohl bis zu 8 000 Menschen. Als Bodendenkmale erhalten sind BurgwĂ€lle verschiedener Bauart, die nach neueren archĂ€ologischen Forschungen in das 9./10. Jh. datiert werden und wohl zur Abwehr von Angriffen aus dem ostfrĂ€nkischen Reich dienten. Durch das Territorium verlief ein bedeutender Handelsweg, der vom Rheinland ĂŒber Leipzig, Krakau und Kiew bis nach Mittelasien fĂŒhrte, die spĂ€tere „Via Regia“.

Ansicht und archÀologische Funde des Burgwalls in Ostro, historische Postkarte; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die Milzener stellten zunĂ€chst Keramik des sog. Tornower Typs her. Ihre Wirtschaft beruhte auf Ackerbau und Viehzucht, daneben wurden Jagd, Fischfang und Bienenzucht betrieben. Ab etwa 850 fĂŒhrten sie ein selbststĂ€ndiges Stammesleben, in dem Adlige bzw. Älteste dominierten. WĂ€hrend sich im 10. Jh. hinter den Grenzen ein deutscher, ein polnischer und ein böhmischer Staat formierten, schufen die Elbslawen kein eigenes Staatswesen. Nach der Konsolidierung des ostfrĂ€nkischen Reiches besiegte König Heinrich I. neben anderen slawischen StĂ€mmen 932 auch Milzener und Lusizer und machte sie tributpflichtig. Nach mehreren Erhebungen und zeitweiliger erneuter UnabhĂ€ngigkeit wurden die Milzener, die sich 963 noch einmal befreien konnten, 990 durch Markgraf Ekkehard I. endgĂŒltig besiegt. Ihr nationales und politisches Schicksal war von da an – mit kurzen Unterbrechungen – fest mit dem Reich verbunden. An die Stelle einheimischer Aristokratie traten, oft infolge gewaltsamer Eingriffe, deutsche Feudalherren als TrĂ€ger der neuen Oberhoheit. Verbesserungen in der Landwirtschaft und die damit verbundene Steigerung der ErtrĂ€ge fĂŒhrten zu einer Bevölkerungszunahme, die eine Erweiterung des Siedlungslandes notwendig machten. Die „innere“ Kolonisation, an der maßgeblich sorbische Bauern beteiligt waren, erfolgte insbesondere in nördlicher Richtung. Große Teile des Heidewaldes wurden gerodet und es entstanden neue Siedlungen um Hoyerswerda, Spremberg und Weißwasser. Hier kam es zu Kontakten mit den nördlich angrenzenden Slawen, den spĂ€teren Niedersorben.

Nach der Unterwerfung der slawischen Bevölkerung begann die langwierige Christianisierung, unterstĂŒtzt durch die GrĂŒndung des Bistums Meißen 968. Die slawischstĂ€mmige Bevölkerung der Lausitz, deren Selbstbezeichnung Serb lautet, konnte die eigene Sprache, Kultur und Tradition ĂŒber mehr als 1 000 Jahre hinweg bewahren. Als Nachfahren der Milzener leben die Obersorben bis zur Gegenwart im östlichen Sachsen und sind Teil der nationalen Minderheit bzw. des autochthonen Volkes der Sorben.

Lit.: J. Brankačk/​F. MětĆĄk: Geschichte der Sorben, Bd. 1, Bautzen 1977; L. Leciejewicz: JĂ€ger, Sammler, Bauer, Handwerker. FrĂŒhe Geschichte der Lausitz bis zum 11. Jahrhundert, 2. Aufl., Bautzen 1985; K. Blaschke: BeitrĂ€ge zur Geschichte der Oberlausitz. Gesammelte AufsĂ€tze, Görlitz/​Zittau 2000; Geschichte der Oberlausitz. Herrschaft, Gesellschaft und Kultur vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Hg. J. Bahlcke, Leipzig 2001; Besunzane – Milzener – Sorben. Die slawische Oberlausitz zwischen Polen, Deutschen und Tschechen, Hg. J. v. Richthofen, Görlitz/​Zittau 2004.

Metadaten

Titel
Milzener
Titel
Milzener
Autor:in
Scholze, Dietrich
Autor:in
Scholze, Dietrich
Schlagwörter
Westslawen; Sorben; Obersorben; Oberlausitz; Besiedlung; Sachsen; Landesgeschichte; Bayerischer Geograph
Schlagwörter
Westslawen; Sorben; Obersorben; Oberlausitz; Besiedlung; Sachsen; Landesgeschichte; Bayerischer Geograph
Abstract

Westslawischer Stamm, der nach 600 in das Gebiet der spÀteren Oberlausitz einwanderte.

Abstract

Westslawischer Stamm, der nach 600 in das Gebiet der spÀteren Oberlausitz einwanderte.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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