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Besiedlung
von Lech Leciejewicz

Prozess der Landnahme bzw. Niederlassung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Im Zuge der Völkerwanderung, bei der die Slawen ihre Urheimat (vermutlich nördlich der Karpaten zwischen Weichsel und Dnjepr) verlassen hatten, gelangten ab dem 7. Jh. slawische Stämme u. a. in das Gebiet bis zur Saale/​Elbe. Dabei ist von mehreren Besiedlungswellen und Siedlungsschwerpunkten auszugehen. Die früheste Kunde von der Besiedlung der Landschaft zwischen Elbe und Saale durch Slawen stammt von dem fränkischen Chronisten Fredegar, der zum Jahr 631 über den Stammesverband der Surbi berichtet, dessen Fürst Derwan sich mit seinem Volk dem Großreich des Samo angeschlossen habe. Archäologische Befunde legen den Schluss nahe, dass diese westlichen Gruppen über den Böhmischen Kessel eingewandert sein könnten. Spuren der frühslawischen Besiedlung aus der Niederlausitz (z. B. Tornow bei Calau) sprechen dort hingegen für eine Herkunft aus östlicher Richtung. Die an Schwarzer Elster, Spree und Lausitzer Neiße ansässigen Slawen lassen zumindest kulturelle Verbindungen nach Osten erkennen, wie etwa die Wehranlagen (kleine Niederungsburgen), bestimmte Geräte des täglichen Gebrauchs (auf der Drehscheibe hergestellte Gefäße vom Tornower Typ) sowie Bestattungssitten (Urnenbrandgräber auf Erdhügeln).

Im 9. Jh. wurden die an das Karolingerreich angrenzenden slawischen Völker erstmals namentlich erwähnt. Der sog. Bayerische Geograph aus dem Regensburger Kloster St. Emmeram nennt neben den Sorben („Surbi“) auch Daleminzer oder Glomaci an der mittleren Elbe; außerdem werden für die „Lunsici 30 Burgen“, die „Dadosesani 20 Burgen“, die „Milzane 30 Burgen“ und die „Besunzane 2 Burgen“ angeführt. Die Lusizer siedelten an der mittleren Spree in der heutigen Niederlausitz, die Milzener an der oberen Spree in der Oberlausitz. Die Besunzane besaßen die Burg Businc, die Thietmar von Merseburg am Beginn des 11. Jh. nennt; sie wird häufig mit dem Burgwall der Landeskrone bei Biesnitz (heute zu Görlitz) identifiziert. Der kleine Stamm wäre demnach am Oberlauf der Neiße zu lokalisieren.

Besiedlung der Gebiete zwischen Elbe/​Saale und Neiße vom 7. bis 8. Jh.; Karte: Iris Brankatschk

Schriftliche Überlieferungen aus dem 10./11. Jh. belegen für die Region zudem einige kleinere Stammesbezirke, darunter die Selpoli (Slupianen), die möglicherweise an der Lubst (polnisch Lubsza), einem rechten Nebenfluss der Neiße, siedelten. Zwischen Neiße und Bober (Bóbr) erwähnt Thietmar außerdem die Bezirke Zara (wahrscheinlich um Sorau/ heute: Żary [Polen]) und Nice (vermutlich an der Neiße). Während die Siedlungen der Milzener, Lusizer, Selpoli und wahrscheinlich der Besunzane durch Urwälder voneinander getrennt waren, lassen sich die übrigen Stammesbezirke archäologisch nicht eingrenzen. Laut Bayerischem Geographen waren die Westslawen nach Burgbezirken organisiert. Die Burganlage dürfte jeweils das Zentrum einer Siedlung gebildet haben. Zeitliche Fixierung und soziale Funktion der ältesten Burgwälle sind umstritten. Die nach Art und Größe differierenden Anlagen wurden sowohl bei West- wie bei Ostslawen errichtet. Die Burgbezirke (sorb. župa) waren Mittelpunkte einer Nachbarschaft.

Mit der fortschreitenden sozialen und politischen Integration wurden einige Burgen zu Hauptsitzen. Diese Funktion hatte bei den Daleminzern vermutlich Gana inne, bei den Milzenern Bautzen, das sich an strategisch wichtiger Position befand. Nach archäologischem Befund gehen die Anfänge der Siedlung hier auf das 9./10. Jh. zurück. Der Hauptort der Selpoli, Niempsi, entstand am rechten Neißeufer nahe Niemitzsch bei Guben/​heute: Polanowice (Polen). Er wurde im Jahr 1000 erstmals genannt und war laut dem sog. Nienburger Fragment noch Mitte des 12. Jh. bewohnt.

Im 9./10. Jh. gerieten die Bewohner beider Lausitzen ins Visier der erstarkenden mitteleuropäischen Staaten. Um 930 ließ König Heinrich I. die Reichsburg Meißen errichten, die die Deutschen vor den Ungarn schützen sollte, aber auch die Expansion nach Osten begünstigte. Der ostfränkische Herrscher machte die Milzener tributpflichtig. 963 unterwarf der sächsische Markgraf Gero als Verwalter der Elbmark die Lusizer „in härtester Kampfesführung“, wie der Chronist Widukind von Corvey schreibt. Am Ende des 10. Jh. wurden die Milzener vom Meißener Markgrafen Ekkehard besiegt und verloren ihre politische Unabhängigkeit.

Archäologische Untersuchungen für das 10. bis 12. Jh.; Böhlau-Verlag Weimar, 1971

Zur selben Zeit festigten die polnischen Piasten ihre Macht an der Oder. Bereits um 990 wurde das Land Milska in einer Urkunde als Grenze des Gnesener Staates genannt. In der gesamten späteren Lausitz begannen 1002 langwierige fränkisch-polnische Auseinandersetzungen, die 1018 zeitweilig zugunsten des polnischen Herzogs beendet wurden: Bolesław Chrobry erhielt die (Nieder-)Lausitz und das Milzenerland. 1031 gewann Konrad II. diese Gebiete zurück und verband sie auf Dauer mit dem römisch-deutschen Kaiserreich der Salier. Die Eroberungen zeitigten Folgen für Wirtschaft und Verwaltung. Die neuen Herrscher führten im Grenzgebiet ein System von Burgwarden ein, das den einstigen slawischen Burgbezirken entsprach. Die Stammesterritorien wurden in die Grenzmarken einbezogen – Lusizer und Selpoli in die Ostmark, Milzener in die Mark Meißen. Die entstehende Kirchenorganisation festigte die Bindung ans Reich. Die Grenze zwischen ostfränkischem und polnischem Herrschaftsgebiet wurde dauerhaft an Bober und Queis festgelegt.

Über die soziale Struktur der Lausitzer Bevölkerung im frühen Mittelalter ist wenig bekannt. Mehrere Nachbarschaften, die sich jeweils um eine Burg scharten, bildeten eine Stammesgemeinschaft. Die Burg Brohna bei Bautzen z. B. scheint Sitz eines Stammesführers aus dem 9./10. Jh. gewesen zu sein. In schriftlichen Überlieferungen werden einheimische Adlige erst seit dem 11./12. Jh. erwähnt. Die Machtelite im Reich war überwiegend deutsch, was auch für die Geistlichen galt, die seit Mitte des 10. Jh. missionarisch tätig wurden (→ Christianisierung).

Die slawische Bevölkerung blieb den überlieferten Sitten und Bräuchen treu, sie ernährte sich v. a. vom Ackerbau. Die archäologischen Befunde zeigen ein hohes Niveau an agrotechnischen Kenntnissen. Das Hauptgerät war der Hakenpflug mit gehärteter hölzerner oder eiserner Pflugschar. Auch Belege für Fruchtwechsel wurden gefunden, die Elbslawen kannten Frühjahrs- und Winteraussaat. Eine weitere Lebensgrundlage war die Viehzucht. Vorrang gebührte der Rinderhaltung, seltener waren Schweine- und Schafzucht. In den umliegenden Urwäldern wurden Wildtiere gefangen, die man auch wegen ihrer Felle schätzte. Hinzu kam die Bienenzucht. Der Wasserreichtum bot gute Möglichkeiten für den Fischfang.

Rundlingsdorf Brohna im Oberlausitzer Gefilde; Fotograf: Rafael Ledschbor

Die Wirtschaft der slawischen Gemeinschaften war weitgehend autark. Arbeitsgeräte und Hausrat stellte man selbst her, besondere Fertigkeiten erforderten Erzeugnisse aus Eisen. Schmuck wurde aus eingeführten Rohstoffen angefertigt, bestimmte Waffen oder Luxusartikel wurden importiert. Der Warenaustausch spielte im Laufe der Zeit eine wachsende Rolle. Als Zahlungsmittel dienten im 8.–10. Jh. vermutlich eiserne Schüsseln, auch arabische, ostfränkische, englische, böhmische oder andere Münzen tauchten gelegentlich auf. Sie wurden zusammen mit gebrochenem oder gehacktem Silber als Schätze vergraben (Meschwitz bei Bautzen, Cortnitz bei Weißenberg, Ragow bei Calau usw.).

Mit den historischen Umbrüchen verlor die Stammeszugehörigkeit an Bedeutung. Die Aufnahme der Lusizer und Milzener ins Kaiserreich brachte sie ihren Stammesverwandten an Elbe und Saale näher. Am Ausgang des Mittelalters besaßen lediglich die Sorben in beiden Lausitzen die Chance, der Assimilation zu entgehen und ihre Sprache und Kultur für lange Zeit zu bewahren.

Lit.: J. Brankačk/​F. Mĕtšk: Geschichte der Sorben. Band 1: Von den Anfängen bis 1789, Bautzen 1977; Die Slawen in Deutschland. Ein Handbuch, Hg. J. Herrmann, 2. Aufl., Berlin 1985; L. Leciejewicz: Jäger, Sammler, Bauer, Handwerker. Frühe Geschichte der Lausitz bis zum 11. Jahrhundert, 2. Aufl., Bautzen 1985; G. E. Schrage: Slaven und Deutsche in der Niederlausitz, Berlin 1990; F. Biermann: Slawische Besiedlung zwischen Elbe, Neiße und Lubsza. Archäologische Studien zum Siedlungswesen und zur Sachkultur des frühen und hohen Mittelalters, Bonn 2000.

Metadaten

Titel
Besiedlung
Titel
Besiedlung
Autor:in
Leciejewicz, Lech
Autor:in
Leciejewicz, Lech
Schlagwörter
Eroberung; Grenzmark; Landnahme; Landschaft; Siedlung; Slawen; Wirtschaft; Geschichte 600–1199; Bayerischer Geograph
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Eroberung; Grenzmark; Landnahme; Landschaft; Siedlung; Slawen; Wirtschaft; Geschichte 600–1199; Bayerischer Geograph
Abstract

Prozess der Landnahme bzw. Niederlassung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Im Zuge der Völkerwanderung, bei der die Slawen ihre Urheimat (vermutlich nördlich der Karpaten zwischen Weichsel und Dnjepr) verlassen hatten, gelangten ab dem 7. Jh. slawische Stämme u. a. in das Gebiet bis zur Saale/Elbe. Dabei ist von mehreren Besiedlungswellen und Siedlungsschwerpunkten auszugehen.

Abstract

Prozess der Landnahme bzw. Niederlassung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Im Zuge der Völkerwanderung, bei der die Slawen ihre Urheimat (vermutlich nördlich der Karpaten zwischen Weichsel und Dnjepr) verlassen hatten, gelangten ab dem 7. Jh. slawische Stämme u. a. in das Gebiet bis zur Saale/Elbe. Dabei ist von mehreren Besiedlungswellen und Siedlungsschwerpunkten auszugehen.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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