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Vogelhochzeit
von Měrćin Wałda und Susanne Hose

Kinderbescherbrauch (→ Bräuche) am 25. Januar, obersorb. ptači kwas, bei dem die Kinder am Vorabend Teller ins Freie, ans Fenster oder an die Haustür stellen, auf die die Vögel als Dank fürs Füttern im Winter eine Kostprobe von ihrem „Hochzeitsmahl“ legen. Die Vögel dürfen beim Überbringen nicht beobachtet werden. Die Gaben sind aus Milchbrötchenteig gebackene Teigvögel („Srokas“ nach obersorb. sroka ,Elster’, ein Gebildebrot in Form eines nistenden Vogels), Nester oder Vögel aus Buttercreme mit Schokoladenüberzug, aus Baisermasse geformte Schaumvögel und bunte Zuckereier. Um 1900 wurden auch Hirsebrei und Wurst oder Backobst, Nüsse und Zuckerwerk beschert. Das traditionelle Verbreitungsgebiet der Vogelhochzeit liegt im obersorbischen Sprachraum mit den angrenzenden Landstrichen um Kamenz, Bischofswerda, Wilthen, Löbau, Niesky und Hoyerswerda.

Bescherung zur Vogelhochzeit in Purschwitz, 1956; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut Bautzen

Der Ursprung des Brauchs ist umstritten. Zum einen wird er als vorchristlicher Seelenkult bzw. Vorfrühlingsritual gedeutet. Aus der Opfergabe an heidnische Gottheiten (→ Mythologie) wurde eine Gabe für Kinder. Eine andere Erklärung bietet die Beobachtung, dass die Vögel um diese Zeit wieder anfangen zu singen. Ende Januar beginnen die Hühner wieder regelmäßig zu legen („Pauli Bekehr! Gib Eier her!“). Der 25. Januar, der im Kirchenkalender an die Bekehrung des Apostels Paulus erinnert, gehört zu den Lostagen im bäuerlichen Kalender, an denen Prognosen über das Wetter und günstige Zeitpunkte für die Landarbeit gestellt werden (obersorb. Na Pawoła bosy, wožni ćeńke kłosy ,Zu Pauli barfuß, dürr die Ähren zur Ernte’). Er heißt auch „Halbwintertag“, an dem sich der Winter dem Frühling zuwendet und z. B. der Saft in die Bäume schießt („Pauli Bekehr: der halbe Winter hin, der halbe Winter her“). Als Zeit des Übergangs betrachtet, liegt die Verbindung zu vorchristlichen Opfer- und Seelenkulten nahe.

Ungeklärt bleibt das Verhältnis zu ähnlichen Bräuchen außerhalb der Lausitz und zu den Volksliedern. An der Etsch, im Wipp- und Eisacktal „heiraten“ um diese Zeit die Vögel. Die Bienen verlassen erstmals den Stock und die Lerchen zeigen sich. In einigen Regionen Nordfrankreichs, Belgiens, Englands und Nordamerikas heißt es, dass am Valentinstag (14. Februar) Vogelhochzeit sei. Die Vogelhochzeitslieder, etwa das 1470 erstmals in einem Wiener Liederbuch belegte „Ein Vogel wollte Hochzeit machen“, werden zwar gern anlässlich der Vogelhochzeit gesungen, der historische Bezug hingegen kann nicht hergestellt werden. Das von Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Gottfried Herder und Johann Wolfgang von Goethe beachtete Lied der Lüneburger Wenden „Katü mes nínka bäit“ (Wer soll die Braut sein) wurde von Pfarrer Christian Hennig 1705 im Hannoverschen Wendland aufgezeichnet. Nach der Übersetzung des polabischen Urtexts ins Obersorbische durch Arnošt Muka hat sich das Lied im Laufe des 20. Jh. bei den Obersorben eingebürgert. Der Ursprung des 1778 zunächst mittels Flugblatt vertriebenen obersorbischen Liedes „Hlejće, nowa wěc so stała“ (Schaut, eine neue Sache ist geschehen) über die Hochzeit von Elster und Rabe wird auf den als Hochzeitsbitter agierenden Bauern Bosćij Michał Wićaz aus Prautitz zurückgeführt.

Vogelhochzeit im Kindergarten Nebelschütz, 2017; Fotografin: Marhata Delenk

Unter Einfluss der bürgerlichen Kultur und des Vereinswesens entstand die Tradition einer Abendveranstaltung für Erwachsene, die in der Regel ein Hochzeitsbitter moderierte. Der Verein „Serbska Bjesada“ (Wendische Geselligkeit) in Bautzen organisierte 1860 erstmals eine Vogelhochzeit für seine Mitglieder. Seit ca. 1880 luden Dorfgastwirte zur Vogelhochzeit zu Geselligkeit und Tanz ein, nach dem Ersten Weltkrieg dann mithilfe von Anzeigen in den Zeitungen. Einige Vereine nutzten den Anlass zu einer ersten großen Zusammenkunft am Jahresbeginn und gestalteten Festprogramme, die mit Ansprachen, Chorgesang mit und ohne Soli, literarischen Rezitationen oder Auftritten von Theatergruppen einen typischen Ablauf gewannen. Die Vogelhochzeit des Bautzener Vereins „Nadźija“ (Hoffnung) entwickelte sich ab 1927 zu einer öffentlichen, überregionalen Veranstaltung. Neue künstlerische Impulse erhielt sie, als 1932 auf Vorschlag von Bjarnat Krawc ein sinfonisches Konzert ins Programm aufgenommen wurde. Nach 1945 arrangierten zunächst Laiengruppen die Programme. Seit 1953 beteiligten sich Künstler des Staatlichen Ensembles für sorbische Volkskultur (→  Sorbisches National-Ensemble), das die Programmgestaltung ab 1957 in eigene Regie nahm und seitdem eine Mischung aus Estrade mit folkloristischen Elementen und Revue zeigt, neuerdings z. T. in Kooperation mit dem Deutsch-Sorbischen Volkstheater. Die Vogelhochzeit wird als traditionelle jährliche Veranstaltung an verschiedenen Orten der Oberlausitz angeboten, in der Niederlausitz wird das Programm anlässlich des Zapust (→ Fastnacht) aufgeführt. Für Kinder läuft in der gesamten Lausitz ein eigenes Programm.

Seit den 1960er Jahren gehört die Vogelhochzeit zu einem festen Programmpunkt in vielen Kindergärten und Grundschulen. Für die Verbreitung des Brauchs in der Niederlausitz sorgten die Absolventinnen des Sorbischen Instituts für Lehrerbildung. Die Kinder verkleiden sich als Vögel, ziehen durchs Dorf und führen kleine Programme auf, wofür sie mit Süßigkeiten belohnt werden. In den sorbischen Kindergärten tragen sie die regionalspezifischen Hochzeitstrachten (→ Tracht) und stellen eine traditionelle Hochzeitsgesellschaft nach.

Lit.: R. Needon: Die Lausitzer Vogelhochzeit, in: Mitteldeutsche Blätter für Volkskunde 6 (1931); B. Nawka/ T. Nawka: Vogelhochzeit. Ein sorbischer Brauch, Bautzen 1989; J. Wuschansky-Łušćanski: Ludvík Kubas Forschungen zum Hannoverschen Wendland, in: Lětopis 53 (2006) 1.

Metadaten

Titel
Vogelhochzeit
Titel
Vogelhochzeit
Autor:in
Wałda, Měrćin; Hose, Susanne
Autor:in
Wałda, Měrćin; Hose, Susanne
Schlagwörter
Brauch; Kinderfest; Frühling; Winter; Lied; Lausitz; Hochzeit; Vögel (Motiv)
Schlagwörter
Brauch; Kinderfest; Frühling; Winter; Lied; Lausitz; Hochzeit; Vögel (Motiv)
Abstract

Kinderbescherbrauch am 25. Januar, obersorb. ptači kwas, bei dem die Kinder am Vorabend Teller ins Freie, ans Fenster oder an die Haustür stellen, auf die die Vögel als Dank fürs Füttern im Winter eine Kostprobe von ihrem „Hochzeitsmahl“ legen.

Abstract

Kinderbescherbrauch am 25. Januar, obersorb. ptači kwas, bei dem die Kinder am Vorabend Teller ins Freie, ans Fenster oder an die Haustür stellen, auf die die Vögel als Dank fürs Füttern im Winter eine Kostprobe von ihrem „Hochzeitsmahl“ legen.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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