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Wendische Kirchen
von Jan Malink

Wendische Kirche in Cottbus, 2017; Fotograf: Alexander Savin, © A.Savin, WikiCommons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cottbus_07-2017_img26_Klosterkirche.jpg

Stadtkirchen in der Ober- und Niederlausitz, die für sorbische Gottesdienste genutzt wurden. Ihre kulturgeschichtliche Bedeutung liegt darin, dass sie die ersten Gebäude mit sorbischer Zweckbestimmung waren. Ihre Existenz bezeugte die Anerkennung der sprachlichen Eigenart der Sorben durch Kirche und Kommune bzw. Grundherrschaft.

Niedersorbische Inschriften in der Wendischen Kirche in Cottbus, 2013; Fotografin: Hana Schön, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Es gibt Hinweise, dass schon in vorreformatorischer Zeit Kirchenbauten der sorbischen Seelsorge dienten. 1495 wurde eine »capella slavorum« in Cottbus erwähnt, ohne dass Näheres zum slawischen Charakter des Gotteshauses bekannt ist. 1525 stellte das katholische Domstift wohl unter dem Eindruck der Reformation die Nicolaikirche in Bautzen für sorbische Gottesdienste zur Verfügung. Die Aufwertung von Gottes Wort in der Muttersprache führte dazu, dass in evangelischen Städten ganz Europas den nicht deutschen Bevölkerungsgruppen Kirchen und Kapellen für muttersprachliche Gottesdienste überlassen wurden, z. B. Polnische Kirchen in Breslau/​heute: Wrocław (Polen), Danzig/​heute: Gdańsk (Polen), Grünberg/​heute: Zielona Góra (Polen) und Königsberg/​heute: Kaliningrad (Russland), Slowakische Kirche in Kaschau/Košice (Slowakei), Slowenische Kirche in Villach (Österreich), Lettische und Finnische Kirche in Riga (Lettland). Entsprechend wurden in Städten mit sorbischer Bevölkerung Wendische Kirchen eingerichtet. Für einige davon ist der Zeitpunkt ihrer Gründung bzw. ihrer neuen Bestimmung verbürgt (Cottbus 1537, Senftenberg um 1540, Sorau/​heute: Żary (Polen) 1562, Löbau vor 1563, Kamenz 1565, Bautzen St. Michael 1619, Muskau 1622), für andere (Calau, Forst, Friedland, Guben, Hoyerswerda, Lieberose, Lübben, Spremberg, Triebel/​heute: Trzebiel in Polen, Vetschau) fehlen exakte Zeitangaben.

Wendische Kirche Sankt Johannis in Löbau, Lithografie, um 1836; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Als Wendische Kirche wurden überzählige Kapellen (in Bautzen St. Nicolai und St. Michael, in Muskau) oder leer stehende Klosterkirchen (in Cottbus, Kamenz, Löbau) verwendet. In Hoyerswerda und in Vetschau erhielt die sorbische Gemeinde wegen ihrer Größe die Hauptkirche zugesprochen, während sich die deutsche Gemeinde zunächst mit einem Anbau begnügen musste. 1689 wurde in Vetschau für die deutsche Gemeinde eine zweite Kirche an die Stadtkirche angebaut, wodurch die dortige Wendisch-Deutsche Doppelkirche entstand. Auch in Triebel waren beide Kirchen nur durch eine Seitenmauer getrennt. In Calau, Lübben (1572) und Senftenberg wurden neue Wendische Kirchen errichtet. Einige wurden durch Feuersbrünste vernichtet oder wegen Baufälligkeit abgetragen, jedoch stets neu aufgebaut (z. B. 1670 und 1717 Senftenberg, 1681 Löbau, 1688 und 1832 Forst, 1713 und 1835 Spremberg, 1781 Muskau mit der Inschrift »Templum Soraborum« über dem Eingang, 1826 Lieberose, 1850 Kamenz). Die 1945 bei Kriegshandlungen zerstörten Wendischen Kirchen (Forst, Lübben, Muskau) wurden nicht wiedererrichtet. Die Ausstattung der Kirchen war dem Zeitgeist verpflichtet, meist aber schlichter als die der Hauptkirche. Für die Löbauer Wendische Kirche wurde 1896 anlässlich der Einführung eigener Sakramentsfeiern ein Abendmahlsgerät angeschafft, das aus Kelch, Kanne, Patene und Ciborium mit der Inschrift: »Wot Serbow Lubijskeje wosady za Serbow« (deutsch »Von den Sorben der Löbauer Gemeinde für die Sorben«) bestand. Sorbische Bibelsprüche befinden sich an den Emporen der Wendischen Kirche in Cottbus und Bautzen St. Michael sowie im Eingangsbereich der Johanneskirche zu Hoyerswerda.

Wendisch-Deutsche Doppelkirche in Vetschau, 2009; Fotograf: Helmtiger; https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7293309

Rechtsträger der Wendischen Kirche war die jeweilige Grundherrschaft, d. h. Stadtrat oder adliger Kollator. Dabei blieb der mittelalterliche Grundsatz »ein Ort – eine Gemeinde« in Kraft, denn die Wendischen Kirchen waren Nebenkirchen, denen die eingepfarrten Dörfer zur sorbischen Predigt zugewiesen wurden. In den meisten Wendischen Kirchen fanden nur Predigtgottesdienste statt, während Abendmahlsfeiern, Taufen und Trauungen in der Hauptkirche erfolgten, im Bedarfsfall auch in sorbischer Sprache. Die geistliche Betreuung der Wendischen Kirche war außer in Cottbus und Bautzen dem rangniedrigsten Geistlichen (Diakon bzw. Subdiakon) übertragen. Auch in Cottbus bestand nur eine städtische Kirchgemeinde unter Leitung des Oberpfarrers, jedoch war dem Geistlichen an der Wendischen Kirche der Rang eines Archidiakons und damit eine hohe Selbstständigkeit der Amtsführung gesichert. In Bautzen gründete der Stadtrat 1619 eine Kirchgemeinde für die evangelischen Sorben und überließ ihr die in seinem Besitz befindliche Michaeliskirche. Wegen der Größe der Gemeinde (34 Dörfer) wurde 1690 ein zweiter Geistlicher (Diakon) eingesetzt. Durch die Autonomie der Pfarrer an den Wendischen Kirche in Cottbus und Bautzen konnten sie sich stärker als ihre Kollegen für die Belange der Sorben engagieren, in Cottbus u. a. Pawoł Fryco Broniš, Juro Ermel, Pomgajbog Kristalub Fryco, Dabit Boguwěr Głowan, Wylem Nowy, Jan Juro Rězak, Bogumił Šwjela, Jan Bjedrich Tešnaŕ, Měto Wjeńcko, in Bautzen u. a. Jan Ast, Michał Hilbjenc, Ernst Bohuwěr Jakub, Božidar Kapler, Handrij Lubjenski, Bjedrich Wylem Mička, Jan Pjech.

Wendische Kirche in Lieberose, 2014; Fotograf: J.-H. Janßen; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lieberose_Kirchen_02.JPG

Eine vergleichbare Entwicklung vollzog sich in Bautzen auf katholischer Seite. Die Parochialrechte der Nicolaikirche, die 1583 zur Pfarrkirche der umliegenden Dörfer geworden war, wurden nach der Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg 1647 auf die Liebfrauenkirche übertragen, die dadurch zur katholischen Wendischen Kirche der Stadt wurde. Ein sorbischer Domkapitular wurde hier zum Pfarrer ernannt. Hier wirkten z. B. Michał Hórnik, Wjacsław Měrćin Kobalc, Matej Kućank, Jakub Skala, Mikławš Žur.

Wendische Kirche in Bautzen, 1893; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Wendische Kirche St. Annen (ehemalige Klosterkirche) in Kamenz; 2013; Fotografin: Hana Schön, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Für die Wendische Kirche bestand ein doppeltes Gründungsprinzip, indem zum einen die geografische Teilung von Stadt und Land, zum anderen die sprachliche Teilung in Sorbisch und Deutsch zugrunde gelegt wurde, was sich in den beiden Bezeichnungen Wendische Kirche und Landkirche spiegelt. Daraus konnten sich im Laufe der Zeit Abgrenzungskonflikte bezüglich der Zuordnung der sorbischen Stadtbewohner bzw. der Deutschen in den Dörfern entwickeln. In der Regel wurden diese so gelöst, dass die Stadtsorben finanziell der Hauptkirche verpflichtet blieben, aber das Recht hatten, sich »ad sacra« (d. h. in geistlichen Angelegenheiten) zur Wendischen Kirche zu halten, während in den Wendischen Kirchen der deutsche Anteil am Kirchenleben mit zunehmender Assimilation stieg (deutsche Gottesdienste in der Wendischen Kirche Cottbus ab 1717, in Kamenz ab 1850, in Bautzen ab 1836, zweisprachige Gottesdienste in Löbau ab 1667, in Muskau wohl durchgängig). Die Zahl der sorbischen Gottesdienste wurde allmählich reduziert, bis sie wegen geringer Teilnehmerzahlen ganz eingestellt wurden (Triebel vor 1792, Lübbenau 1867, Muskau 1907, Löbau 1921, Kamenz 1928, Vetschau 1930). Die Gebäude wurden danach einer anderen Nutzung zugeführt (Winterkirche in Calau, kulturelle Nutzung in Kamenz, Löbau, Senftenberg, Spremberg und Vetschau). In Lieberose wurde die Wendische Kirche nach der Zerstörung der Stadtkirche im Zweiten Weltkrieg zur eigentlichen Gemeindekirche. Regelmäßige oder gelegentliche sorbische Gottesdienste fanden 2010 noch in folgenden Wendischen Kirchen statt: Bautzen Liebfrauen (wöchentlich), Bautzen St. Michael (monatlich), Cottbus Klosterkirche, Hoyerswerda und Vetschau (jährlich einmal).

Lit.: M. Haberland: Altes und Neues über die Klosterkirche zu Cottbus, Cottbus 1908; R. Lehmann: Geschichte der Niederlausitz, Berlin 1963; M. Měrćinowa: Templum Soraborum, in: Serbska Pratyja 2002, Budyšin 2001; T. Malinkowa: Serbske ewangelske cyrkwje w městach Hornjeje Łužicy, in: Serbska Protyka 2003, Budyšin 2002; M. Norberg: Wendisches Kirchenleben in Cottbus in Vergangenheit und Gegenwart, in: Podstupimske pśinoski k Sorabistice 8 (2008); L. Mahling: Sorbisches kirchliches Leben in Löbau von der Reformation bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts, Görlitz 2011.

Metadaten

Titel
Wendische Kirchen
Titel
Wendische Kirchen
Autor:in
Malink, Jan
Autor:in
Malink, Jan
Schlagwörter
Kirche; Kirchenbau; Landesgeschichte; Stadt; Sprachenpolitik; evangelische Sorben
Schlagwörter
Kirche; Kirchenbau; Landesgeschichte; Stadt; Sprachenpolitik; evangelische Sorben
Abstract

Stadtkirchen in der Ober- und Niederlausitz, die für sorbische Gottesdienste genutzt wurden. Ihre kulturgeschichtliche Bedeutung liegt darin, dass sie die ersten Gebäude mit sorbischer Zweckbestimmung waren. Ihre Existenz bezeugte die Anerkennung der sprachlichen Eigenart der Sorben durch Kirche und Kommune bzw. Grundherrschaft.

Abstract

Stadtkirchen in der Ober- und Niederlausitz, die für sorbische Gottesdienste genutzt wurden. Ihre kulturgeschichtliche Bedeutung liegt darin, dass sie die ersten Gebäude mit sorbischer Zweckbestimmung waren. Ihre Existenz bezeugte die Anerkennung der sprachlichen Eigenart der Sorben durch Kirche und Kommune bzw. Grundherrschaft.

Enthalten in Sammlung
Enthalten in Sammlung
Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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