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Sprachverbote
von Peter Kunze

Anordnungen zur Einschränkung bzw. zum Verbot bestimmter Sprachen im öffentlichen Leben, hier speziell des Sorbischen.

Erste Sprachverbote sind aus dem 13. Jh. bekannt, so z. B. im „Sachsenspiegel“, einem Rechtsbuch von 1224/25. Darin heißt es, dass kein Sachse eines Wenden Urteil dulden möge und dass Wenden, die vor Gericht schon einmal deutsch gesprochen haben, das Wendische nicht mehr benutzen dürfen. (Damit war die Gewohnheit gemeint, mit der einheimischen sorbischen Bevölkerung vor Gericht in deren Muttersprache zu verhandeln.) 1293 wurde die Anwendung des Sorbischen vor Gericht östlich der unteren Saale um Bernburg verboten. Ähnliche Weisungen wurden um 1327 in Altenburg, Zwickau und Leipzig sowie 1424 in Meißen erlassen. Die administrativen Maßnahmen erfolgten zu einer Zeit, als es durch den massenhaften Zuzug bäuerlicher Siedler aus Flandern, Thüringen, Sachsen und Franken in den Gebieten westlich der Elbe zu einer Durchmischung und schließlich zu einer deutschsprachigen Mehrheit kam (→ Kolonisation). Mithilfe der Sprachverbote forcierte die Landesherrschaft im sächsisch-meißnischen Raum massiv die Assimilation der slawischen Bevölkerung, was ihr innerhalb von 300 Jahren, bis zum Ende des 15. Jh., vollständig gelang.

Für die beiden Lausitzen sind hingegen keine mittelalterlichen Sprachverbote bekannt. Die Hauptgründe dafür lagen in der zahlenmäßigen Stärke des sorbischen Ethnikums und den jeweiligen Landesverfassungen, die keine straffe Zentralverwaltung zuließen. Das änderte sich mit dem letzten Drittel des 17. Jh. Die tolerante Politik wich nun in mehreren Territorien einer Verdrängung des Sorbischen, was mit der Herausbildung des Absolutismus in der Frühen Neuzeit zusammenhing. Maßnahmen zur Zentralisierung waren verbunden mit dem Bemühen, die Sorben zu germanisieren und in das Herrschaftssystem einzugliedern. Am deutlichsten zeigte sich dieser Prozess im Markgraftum Niederlausitz. Dort übten ab 1657 für 80 Jahre die Herzöge von Sachsen-Merseburg die Herrschaft aus. Sie setzten zahlreiche Reformen durch, die den Einfluss der Landstände einschränkten und sich gegen die sorbische Sprache und Kultur richteten. Mit dem 1667 gegründeten Lübbener Oberkonsistorium entstand eine eigene fürstliche Kirchenverwaltung, die sich in den folgenden Jahrzehnten als Basis einer staatlich geförderten Eindeutschungspolitik erwies. Bereits ein Jahr nach seiner Gründung erarbeitete das Konsistorium auf Anordnung Herzog Christians I. einen Stufenplan zur „gänzlichen Abschaffung“ der sorbischen Sprache, der über 200 Jahre verfolgt wurde. Begründet wurde er zum einen mit einem bei den Sorben „eingewurzelten Hass gegen ihre christliche Obrigkeit“, der zu „boshafter Verstockung und Ungehorsam“ und zur Revolte der Uckroer Untertanen von 1548 geführt habe (→ Bauernaufstände). Zum anderen sei die sorbische Sprache nach der Reformation „gar sehr erstarkt“, obwohl der niederlausitzische Landvogt bereits 1592 angeordnet hatte, dass „die deutsche Sprache im ganzen Markgraftum Eingang finden solle“.

An Bogumił Šwjela erteiltes Verbot des Gebrauchs der sorbischen Sprache im Gottesdienst, 1941; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Das Vorgehen des Lübbener Konsistoriums wurde von den sächsischen Kurfürsten gebilligt. 1725 forderte der Landesherr, dass in der Calauer Region und Spremberger Region, wo das Sorbische noch stark in Gebrauch war, sehr auf das Erlernen des Deutschen zu achten sei. 1728 wurde allen Predigern der Niederlausitz befohlen, niemanden ohne ausreichende Kenntnis der deutschen Sprache zum Abendmahl zuzulassen. 1729 erging die Aufforderung an sorbische Eltern, ihre Kinder fleißig in die deutsche Schulen zu schicken, damit sie eine bessere sittliche und religiöse Lebensgrundlage erhielten. Nach dem Aussterben der merseburgisch-sächsischen Nebenlinie 1738, als die Niederlausitz wieder in die Zuständigkeit von Kursachsen fiel, setzte dieses konsequent die antisorbische Sprachenpolitik fort. Nach 1790 wurde in mehreren Anordnungen die strikte Anwendung des Deutschen im Schulunterricht gefordert.

Bereits 1667 hatte der Brandenburger Kurfürst Friedrich Wilhelm das sog. Dezemberreskript erlassen. Damit leitete der preußische Staat im Kurmärkisch-wendischen Distrikt Maßnahmen zur gänzlichen Auslöschung der sorbischen Sprache ein. Im 18. Jh. folgten weitere Sprachverbote, so 1714, 1719, 1732, 1735 und 1757, die den Germanisierungsprozess in diesem Gebiet und im Kreis Crossen/ heute: Krosno (Polen) beschleunigten; Mitte des 19. Jh. war er abgeschlossen. Im Cottbuser Kreis beschränkte sich die antisorbische Sprachenpolitik der Hohenzollern zunächst lediglich auf die Regierungszeit des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelms I. (1713–1740).

Die seit Ende des 17. Jh. forcierte Verdrängung der sorbischen Sprache aus weiten Teilen der Niederlausitz zeitigte bald Erfolg: Das Sorbische wurde aus dem öffentlichen Leben verbannt, in einigen Gebieten wie im Kreis Guben, in den Standesherrschaften Sorau/​heute: Żary (Polen) und Forst-Pförten/​heute: Brody (Polen) (→ Östliche Lausitz) sowie in den westlichen Teilen der Kreise Calau und Luckau war es um 1800 weitgehend erloschen oder wurde nur noch von der älteren Generation gesprochen. So konnte das Konsistorium 1794 feststellen, dass die wiederholt befohlene „gänzliche Ausrottung der wendischen Sprache (…) an großen Teils Orten dieser Provinz durchaus erreicht worden ist“ und dass es nun darauf ankäme, diese Sprache „gänzlich absterben“ zu lassen. Die antisorbische Linie wurde nach dem Übergang der Niederlausitz an Preußen beibehalten. 1818 erteilte die Regierung in Frankfurt (Oder) allen Superintendenten die Anweisung, in Kirche und Schule den Gebrauch des Sorbischen abzuschaffen. In den Schulen durfte es nur bei den Anfängern zu Hilfe genommen werden, der Unterricht der älteren Schüler hatte durchweg in deutscher Sprache zu erfolgen. Auch im Gottesdienst sollte das Deutsche überwiegen.

Nach der Reichsgründung von 1871 verstärkte sich der Druck auf die sorbische Bevölkerung der Niederlausitz. Im kirchlichen Umfeld war das Sorbische bereits weitgehend verschwunden. Die Zahl der sorbischen Kirchspiele hatte sich bis 1870 auf 26 und Ende des 19. Jh. auf zwölf reduziert. Das Bedürfnis der Sorben nach Erlernen der deutschen Sprache stieg. Die vom Staat betriebene Eindeutschungspolitik, der Druck auf die Bevölkerung, das Schüren von Minderwertigkeitskomplexen und die fortschreitende Industrialisierung führten zu einer Zurückdrängung des sorbischen Ethnikums (→ Bevölkerungsstatistik), das nun in der Niederlausitz in seiner Existenz bedroht war.

Ende des 17. Jh. modifizierten auch die Stände der Oberlausitz ihre Sprachenpolitik. Angesichts einer drohenden Rekatholisierung entschieden sie sich in den „ganz wendischen Gemeinden“ zu einer Tolerierung des Sorbischen. Dort jedoch, wo „schon mehrere Kenntnis des Deutschen im wendischen Volke vorhanden und hierzulande das Wendische vor Zeiten aus den evangelischen Kirchen abgeschafft oder in solche nicht introduciret worden“, sollte es bei der zuvor verordneten Abschaffung bleiben. Das betraf v. a. die am Rande des Sprachraums gelegenen Gebiete des Kreises Görlitz, die Gegenden um Rothenburg, Elstra, Königsbrück, Pulsnitz und Ruhland sowie einige Kirchspiele im Amt Stolpen.

Die insgesamt tolerantere Haltung in der Oberlausitz, die auch nach 1871 fortbestand, erleichterte die Herausbildung einer sorbischen Nationalbewegung, die im 19. und im ersten Drittel des 20. Jh. ihre Ziele besser verwirklichen konnte.

In der NS-Zeit durfte ab 1937 das Sorbische praktisch nicht mehr in der Öffentlichkeit angewandt werden.

Lit.: F. Mětšk: Verordnungen und Denkschriften gegen die sorbische Sprache und Kultur während der Zeit des Spätfeudalismus. Eine Quellensammlung, Bautzen 1969; W. Schich: Zur Diskriminierung der wendischen Minderheit im späten Mittelalter. Die Ausbildung des „Wendenparagraphen“ in den Zunftstatuten nordostdeutscher Städte, in: Europa Regional 10 (2002) 2; P. Kunze: Kurze Geschichte der Sorben, Bautzen 52017.

Metadaten

Titel
Sprachverbote
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Sprachverbote
Autor:in
Kunze, Peter
Autor:in
Kunze, Peter
Schlagwörter
Administration; Anweisung; Gericht; Landesherr; Sprachenpolitik; Verfassung; Verwaltung
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Administration; Anweisung; Gericht; Landesherr; Sprachenpolitik; Verfassung; Verwaltung
Abstract

Anordnungen zur Einschränkung bzw. zum Verbot bestimmter Sprachen im öffentlichen Leben, hier speziell des Sorbischen.

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Anordnungen zur Einschränkung bzw. zum Verbot bestimmter Sprachen im öffentlichen Leben, hier speziell des Sorbischen.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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