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Wendische Prediger­gesell­schaft
von Jan Malink

Vereinigung sorbischer evangelischer Theologiestudenten zur Vorbereitung auf den kirchlichen Dienst insbesondere im 18. und 19. Jh.

Zur Durchsetzung des reformatorischen Muttersprachprinzips (→ Reformation) im sorbischen Sprachgebiet wurden akademisch gebildete Pfarrer benötigt. An der Universität Frankfurt (Oder) sind von Mitte des 16. Jh. bis nach dem Dreißigjährigen Krieg erste Ansätze für eine niedersorbische Sprachausbildung nachweisbar. In der zweiten Hälfte des 17. Jh. entstand auf Anregung von Michał Frencel als ältester sorbischer Verein die »Fraternität unter den Wendenpfarrern«, über deren Wirken jedoch wenig bekannt ist.

Nach Aufhebung der Landsmannschaften an der Leipziger Universität 1680–1682 wurden Gesellschaften zur Pflege von religiösen, wissenschaftlichen und regionalen Interessen gegründet, u. a. August Hermann Franckes »Collegium Philobiblicum« (1686), das »Vertraute Collegium poeticum Gorliciense« (1697) und ein polnisches Predigerkollegium (1706). 1716 wurde das Wendische Predigerkollegium an der Universität Leipzig von den sechs sorbischen Theologiestudenten Jan Ast, Hadam Zacharias Šěrach, Jan Mosak, Jan Jurij Bar, Jan Chrysta Bulitius und Jurij Knježk gegründet. Sieht man von der Fraternität ab, so ist die Leipziger Wendische Predigergesellschaft die erste Vereinigung zur Pflege der sorbischen Sprache und der erste sorbische Verein überhaupt. (→ Vereinswesen) Sie erfuhr ihre Approbation durch den Dekan der theologischen Fakultät, Hofprediger Heinrich Pipping, und den Dresdener Superintendenten Valentin Ernst Löscher. Die Wendische Predigergesellschaft erhielt die Genehmigung, sich wöchentlich in der Paulinerkirche zu treffen, wo die Mitglieder einander sorbische Predigten vortrugen und »rezensierten«. Erster Mentor war der Leipziger Theologieprofessor Johann Gottlob Pfeiffer, der einige Mitglieder im lutherisch-pietistischen Sinne beeinflusste (→ Pietismus).

Widmungsschrift für zwei Mitglieder der Wendischen Predigergesellschaft zu Wittenberg, 1782; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

1755 wurde die Satzung der Gesellschaft so umgestaltet, dass auch Sorben, die nicht Theologie, sondern Jura oder Medizin studierten, aufgenommen werden konnten. Die Wendische Predigergesellschaft sollte ein freimaurerartiger Freundschaftsorden werden, was jedoch von der Universität abgelehnt wurde. Der Höhepunkt der Leipziger Wendischen Predigergesellschaft im 18. Jh. war die Feier des 50-jährigen Jubiläums 1766/67. Es erschienen mehrere historische Bücher, die den Beginn der eigenständigen sorbischen Geschichtsschreibung anzeigen – so von Georg Körner und von Christian Knauthe. Als Aufsichtsrat gründeten ehemalige Mitglieder das Präsidium, es wurde der Grundstock für eine sorbische Bibliothek (→ Bibliotheken) gelegt. Um die Jahreswende 1766/67 erschien mit den »Lipske nowizny a wšitkizny« (Leipziger Neuigkeiten und Allerlei) in zwei Nummern eine erste handschriftliche sorbische Zeitung. Die »Jubiläumsode«, die von Jurij Rak gedichtet und komponiert wurde, ist das erste sorbische Kunstlied (→ Musik). Der von Jurij Mjeń anlässlich des Jubiläums verfasste »Rěčerski kěrliš« (Dichterlied, 1757) gilt als bedeutendstes Zeugnis der sorbischen Literatur des 18. Jh. und zugleich als Ausgangspunkt der weltlichen Dichtung. Der Vorschlag von Körner, die Wendische Predigergesellschaft in eine Gelehrtengesellschaft umzuwandeln, wurde nicht verwirklicht.

Weil die Zahl der sorbischen Studenten in Leipzig schwankte, wodurch die Existenz der Wendischen Predigergesellschaft mehrfach gefährdet war, öffnete sie sich im letzten Drittel des 18. Jh. für deutsche Lausitzer; ab 1795 wurden abwechselnd deutsche und sorbische Predigten gehalten. Das 100. Jubiläum 1816 wurde maßgeblich von Handrij Lubjenski und Bjedrich Adolf Klin geprägt. Im ersten Drittel des 19. Jh. wurde die Wendische Predigergesellschaft die Geburtsstätte der sorbischen Romantik. Die Studenten der 1820er Jahre Handrij Bróska, Handrij Zejler, Hendrich Awgust Krygar und Korla Benjamin Hatas waren neben Jan Arnošt Smoler die Wegbereiter der nationalen Wiedergeburt. Unter dem Namen Lausitzer Predigergesellschaft wurde sie ab 1810 zu einer seminaristisch arbeitenden Verbindung v. a. für sächsische Theologiestudenten. Das sorbische Seminar »Sorabicum«, das ab 1861 von Hermann Lotze geleitet wurde, bestand bis Anfang des 20. Jh. Mit der Berufung August Leskiens an die Leipziger Universität 1870 wurde die Slawistik ordentliches Lehrfach, in dessen Rahmen die sorbische Sprache mitbehandelt wurde (→ Sorabistik). 1875 initiierte Pfarrer Jaroměr Hendrich Imiš für die sprachpraktische Ausbildung der evangelischen Theologiestudenten die Gründung des Wendischen homiletischen Seminars in Göda. Durch diese Änderungen sank die Bedeutung der Wendischen Predigergesellschaft für die sorbische Geistes- und Kulturgeschichte. Die Predigergesellschaft in Leipzig, die sich ab 1909 »Sorabia« nannte, existierte bis 1936, ihre Eintragung ins Vereinsregister wurde 1948 gelöscht. Das 1908 erworbene Vereinshaus, das Archiv und die Bibliothek, soweit die wertvollen sorabistischen Bestände nicht 1945 geplündert wurden, gingen in das Eigentum der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens über. Bewahrt wird die Tradition sowohl von der 1949 am Institut für Sorabistik der Universität Leipzig gegründeten Studentengruppe »Sorabija« als auch von der Landsmannschaft »Sorabia-Westfalia«, die 1964 von Alten Herren als Gast der Landsmannschaft Westfalen in Münster eröffnet wurde. Die Zahl der Sorben, die von 1716 bis 1867 Mitglieder der Wendischen Predigergesellschaft in Leipzig waren, beträgt etwa 300, darunter ca. 20 aus der Niederlausitz. Durch die Wendische Predigergesellschaft wurden Ideen des Luthertums, des Pietismus, der Aufklärung und der Romantik in die Lausitz transportiert.

Die Wittenberger Wendische Predigergesellschaft wurde 1749 nach Leipziger Vorbild gegründet. Die Namen der Gründer sind nicht überliefert. Die Studenten hielten in der Schlosskirche sorbische Predigten; daneben wurde sorbische Konversation und Geselligkeit gepflegt, wovon einige in Wittenberg gedruckte Abschiedsgedichte zeugen. Nach 1760 ruhte die Arbeit der Gesellschaft, um ab 1770 unter Leitung von Samuel Bohuwěr Ponich ihren Höhepunkt zu erleben (sorbischer Gottesdienst anlässlich der Wiedereinweihung der Schlosskirche 1770). Um 1780 sind Umgestaltungsversuche in Richtung einer Oberlausitzer Landsmannschaft erkennbar. Mit der Aufhebung der Universität 1813 löste sich die Gesellschaft auf. Die Zahl der sorbischen Mitglieder kann auf 60 bis 100 geschätzt werden. Mehrere Pfarrer, die für das sorbische Schrifttum wirkten, gingen aus der Wittenberger Wendischen Predigergesellschaft hervor, z. B. Jan Křesćan Koernig, Jurij Libuš, Bjedrich Wylem Mička, Rudolf Mjeń und Bohačesć Bjedrich Ponich.

Lit.: K. A. Jenč: Serbske prědarske towarstwo we Wittenbergu, in: Časopis Maćicy Serbskeje 1856; C. A. Jentsch: Geschichte der Lausitzer Predigergesellschaft zu Leipzig, Bautzen 1867; J. Hiecke: Das Wendische Predigerkollegium im ersten Halbjahrhundert seines Bestehens. Beiträge zur Geschichte der Sorabia (Lausitzer Predigergesellschaft) Heft 1, Leipzig 1929; H. Kühne: Neues über die Wendische Predigergesellschaft in Wittenberg, in: Lětopis B 30 (1983); C. M. Raddatz: Zur Geschichte der Lausitzer Predigergesellschaft zu Leipzig und ihres Archivs, in: Lětopis 48 (2001) 1; G. Graf: Vom Wendischen Prediger-Collegium zur Landsmannschaft Sorabia. Ein Beispiel studentischer Selbsthilfe durch mehr als zwei Jahrhunderte, in: Lětopis 53 (2006) 1; R. Haas: Societas Lusatorum Sorabica. Geschichte der Lausitzer Prediger-Gesellschaft und der Landsmannschaft Sorabia Leipzig von 1716 an. Im Anschluss an Carl August Jentsch Geschichte der Lausitzer Predigergesellschaft zu Leipzig (Budissin 1867), Norderstedt 2016.

Metadaten

Titel
Wendische Prediger­gesell­schaft
Titel
Wendische Prediger­gesell­schaft
Autor:in
Malink, Jan
Autor:in
Malink, Jan
Schlagwörter
Theologiestudium; Theologiestudent; Verein; Literatur; Sorbische Sprache(n); Universität; evangelische Sorben
Schlagwörter
Theologiestudium; Theologiestudent; Verein; Literatur; Sorbische Sprache(n); Universität; evangelische Sorben
Abstract

Vereinigung sorbischer evangelischer Theologiestudenten zur Vorbereitung auf den kirchlichen Dienst insbesondere im 18. und 19. Jh.

Abstract

Vereinigung sorbischer evangelischer Theologiestudenten zur Vorbereitung auf den kirchlichen Dienst insbesondere im 18. und 19. Jh.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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