Tonkunst, oft in Verbindung mit Dichtung und Tanz, die durch besondere ethnische
Zuschreibungen als sorbische Musik gilt.
Seite aus den Kraleschen Geigenspielbuch, um 1790; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut
Aufgrund fehlender feudaler Führungsschichten bei den Sorben war im Mittelalter
die frühe sorbische Musik ausnahmslos durch das Volkslied und die instrumentale
Volksmusik vertreten. Wesentlicher Bestandteil war auch der Volkstanz. Die Musikpflege war auf den Dörfern
streng hierarchisch organisiert. Im 17. Jh. konstituierten sich selbstständige
Musikanteninnungen, um die Rechte der wendischen Bierfiedler zu sichern. Als
typisch sorbische Volksmusikinstrumente gelten die
kleine und große dreisaitige Geige (obersorb. małe husle bzw. wulke
husle), der kleine und große Dudelsack (obersorb. měchawa bzw.
kozoł) sowie ein schalmeiähnliches Holzblasinstrument (obersorb.
tarakawa).
Nach der Reformation etablierte sich eine spezifisch sorbische geistliche Musik.
Dabei handelt es sich um Kirchenlieder katholischer und
evangelischer Provenienz in sorbischer Sprache, die seit dem 16. Jh. in der
Niederlausitz, später auch in
der Oberlausitz im Druck erschienen
(→ Gesangbuch). Bedeutend ist das »Wendische Gesangbuch« von Albin Moller, das 1574 in Bautzen als erste gedruckte sorbische
Publikation erschien. Als Begründer einer eigenständigen Musica sacra gilt der
Geistliche Michał Jan Wałda, dessen
handschriftlicher Komplementband zum 1787 erschienenen sorbischen Choralbuch
»Spěwawa Jězusowa Winica« (Jesus’ singender Weinberg) bei vielen katholischen
Kantoren in Abschriften Verbreitung fand.
Korla Awgust Kocor; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Als die älteste bekannte weltliche Komposition sorbischer Vokalmusik gilt die »Jubiläumsode«
(1766) von Jurij Rak, die er mit
generalbassgestützter Melodie im Stil des Spätbarocks schuf. In der ersten
Hälfte des 19. Jh. entstanden weitere sorbischsprachige Kunstlieder
unterschiedlicher Besetzung. Handrij
Zejler schuf zu 25 seiner Gedichte Melodien im Volkston. In die
sorbische Musikgeschichte ging Zejler v. a. als Textautor für die Kompositionen
des Lehrers und Kantors Korla Awgust
Kocor ein. Mit seinem umfangreichen Schaffen und jahrzehntelangen
Wirken als Dirigent und Organisator sorbischer Veranstaltungen bestimmte Kocor
in der zweiten Hälfte des 19. Jh. maßgeblich die Entwicklung. Seinen ersten
Auftritt als musikalischer Leiter und Komponist hatte er mit 22 Jahren beim
ersten sorbischen Gesangsfest am 17.10.1845 in Bautzen. Dieses, dem Vorbild der
deutschen Sängerfeste folgende sorbische Konzert war ein Höhepunkt der
sorbischen nationalen Wiedergeburt. Viele der
dargebotenen Lieder fanden zügig Verbreitung, darunter Kocors »Na serbsku
Łužicu« (Auf die sorbische Lausitz), die spätere sorbische Hymne »Rjana Łužica«
(Schöne Lausitz, → Nationale
Symbole). Die 1846 im Druck erschienene Komposition »Serbska meja«
(Sorbischer Mai) ist der erste Notendruck artifizieller sorbischer Musik
überhaupt. Bis 1851 fanden neun weitere Gesangsfeste – nun mit gemischten Chören
– in Bautzen, Hoyerswerda, Löbau sowie im Kurbad Bad Marienborn in
Schmeckwitz statt.
Kocor komponierte 1847 das Oratorium »Serbski kwas« (Sorbische Hochzeit).
Kompositionen wie diese wurden bei Gesangsfesten aufgeführt, darunter der fünf
Oratorien umfassende Zyklus »Počasy« (Jahreszeiten, 1849–1889) nach Zejlers
Vorlage. Mit den Oratorien »Israelowa zrudoba a tróšt« (Israels Trauer und
Trost, 1861), »So zwoni měr« (Die Friedensglocken, 1891) und dem »Serbski
rekwiem« (Sorbisches Requiem, 1894) betrat Kocor Neuland, denn in der sorbischen
geistlichen Musik wurden bis dahin keine umfangreichen Werke geschaffen. Dabei
berücksichtigte er die Aufführungsmöglichkeiten der Sorben. Da es z. B. kein
Orchester gab, beschränkte er sich in den meisten seiner großen Werke auf
orchestral angelegte Klavierbegleitungen. Kocors Opera buffa »Jakub a Kata«
(Jakub und Kata, 1870/71) und das Singspiel »Wodźan« (Der Wassermann, 1895/96) –
die ersten sorbischen musikalischen Bühnenwerke – wurden aufgrund mangelnder
Rahmenbedingungen erst im 20. Jh. in Gänze aufgeführt. Zu Kocors Nachlass zählt
eine beachtliche Zahl kammermusikalischer Werke (bevorzugt für Klavier und
Violine) und Vokalkompositionen: Kunstlieder (auch in deutscher Sprache) und
Chorlieder für Männer- und gemischte Chöre, meist in Zyklen zusammengefasst.
1860 war auf Initiative des Lehrers Korla Awgust
Fiedler in Bautzen der erste sorbische Gesangverein »Lumir«
gegründet worden, der die Tradition der Gesangsfeste nun mit einem ständigen
Sängerkreis fortführte. Vier Jahre später entstand mit der »Jednota« in
Schweinerden der erste sorbische
Männergesangverein auf dem Lande. Mit weiteren Gründungen schloss sich die
Sängerschaft dem allgemeinen Aufschwung des Vereinswesens an. Fiedler, Dirigent und Organisator der
Gesangsfeste stellte das Liederbuch »Towaŕšny Spěwnik za serbski lud«
(Geselliges Liederbuch für das sorbische Volk, 1878) zusammen. Seitdem wurde das
Chorwesen zum wichtigen Träger sorbischer Musikkultur. Neben Kocor wirkten
weniger bekannte sorbische Musiker, die gelegentlich komponierten oder als
Herausgeber von Liederbüchern fungierten, z. B. Křesćan Kulman, Korla
Wolf, Korla Ernst
Pjekar oder Arnošt
Frencl.
Bjarnat Krawc; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Das seit 1845 in der Oberlausitz sich entwickelnde sorbische Musikleben
motivierte auch Kulturschaffende in der Niederlausitz zu entsprechendem
Engagement. Die Pflege sorbischer Musik beschränkte sich jedoch auf die
Initiative einzelner Lehrer oder Geistlicher (z. B. Pawoł Fryco Broniš, Hendrich Jordan). Die in Preußen verbreitete
antisorbische Haltung erschwerte eine kontinuierliche Musikpraxis in der
Niederlausitz. Aufgrund der Bedeutung von Kirche und Schule wurden neben
Gesangbüchern auch Liederbücher für den Schulgebrauch herausgegeben (so durch
Fryco Bojt 1867, Hendrich Jordan 1885, 1886).
In der Niederlausitz gab es Gemeinden mit Chören, die bereits in der zweiten
Hälfte des 19. Jh. sorbische Lieder sangen. Da anfangs kaum originäre
niedersorbische Literatur zur Verfügung stand, wurden die von den obersorbischen
Gesangsfesten bekannten Lieder Kocors und Zejlers ins Niedersorbische übertragen. Lehrer, Kantoren und Chorleiter wie
Mato Rizo in Sielow, Awgust Krygaŕ in Preilack, Hermann
Worch in Jänschwalde
und Maks Gólaš in Werben schufen für den Chorbedarf eigene
Lieder. 1891 organisierte Rizo in Striesow ein erstes wendisch-deutsches Fest. In den
darauffolgenden Jahren luden Studenten nach Burg, Tauer und
Werben zu Konzerten im Rahmen der Schadowanka ein. Einen weiteren Höhepunkt bildete die Aufführung von
Rizos Singspiel »Die Spreewälder« 1912 im Cottbuser Stadttheater. 200
Mitwirkende, darunter Sänger der sorbischen Chöre aus Werben und Sielow, boten
Lieder in sorbischer Sprache dar.
Ende des 19. Jh. trat in der Oberlausitz eine neue Generation hervor, darunter der Lehrer
Jurij Pilk. Der promovierte
Historiker und Komponist begann mit der Orchestrierung von Kocors »Wěnc hórskich
spěwow« (Bergliederkranz) für Chor und Soli, den er erstmals 1890 in Dresden zur Aufführung brachte. Er leitete
die Vorbereitungen zweier Konzerte im Rahmen der Ausstellung des Sächsischen Handwerks und Kunstgewerbes 1896. Im
Mittelpunkt der Veranstaltungen standen erstmals Arbeiten der neuen
Komponistengeneration um Pilk, Bjarnat
Krawc, Jan Arnošt
Frajšlag und Jurij
Słodeńk.
Schallplattenaufnahme „Rjana Łužica“, um 1930; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Auf Pilks Betreiben erklangen 1897 Volksliedbearbeitungen beim Konzert zum
50-jährigen Bestehen der Maćica Serbska. Deren 1895 gegründete Sektion Musik, die Pilk
ab 1897 für mehrere Jahre leitete, gab sorbische Musikliteratur heraus und
organisierte musikwissenschaftliche Vorträge sowie Konzerte. Pilk hinterließ
mehr als 170 Bearbeitungen von Volksliedern und Volkstänzen und das Singspiel
»Smjertnica« (Die Todesgöttin, 1901) auf ein Libretto von Jan Wjela-Radyserb, basierend auf sorbischen
Volksweisen und deren charakteristischen instrumentalen Zügen. Der Lehrer Jurij
Słodeńk war Gründer und Dirigent der Gesangvereine »Meja« in Radibor (1895) und »Lipa Serbska« in
Panschwitz-Kuckau (1907),
fungierte als Vorsitzender der Sektion Musik der Maćica Serbska und war
Hauptdirigent des Bundes. Er komponierte überwiegend Chorlieder.
Bjarnat Krawc, der erste sorbische Komponist mit einem abgeschlossenen
Kompositionsstudium, bestimmte in den 1920er und 1930er Jahren das sorbische
Musikleben. Krawc bemühte sich in Dresden um die deutsche Volksliedpflege und
wurde 1918 Königlich-Sächsischer Musikdirektor. Schon in jungen Jahren befasste
er sich mit dem sorbischen Volkslied, das für ihn eine zentrale Rolle spielte
und über das er zahlreiche Studien veröffentlichte. Der Schwerpunkt seines
Schaffens lag in Bearbeitungen sorbischer Volkslieder für begleitete Solostimmen
(u. a. »33 wendische Volkslieder«, 1925), für Chöre – so die populären
Liederbücher »Zerja« (Morgenrot, 1921), »Wulka lubosć« (Große Liebe, 1923),
»Słónčne pruhi« (Sonnenstrahlen, 1929) sowie in zweistimmigen Sätzen für den
Schulgebrauch (»Khwatajće, ale spěwajće«, Eilet, aber singt, 1910; »Naše spěwy«,
Unsere Lieder, 1930, 1931). Mit einem von der Maćica Serbska veranstalteten
Konzert am 3.11.1920 in Bautzen wurde das sorbische Musikleben nach dem Ersten
Weltkrieg wiederbelebt. Auf Krawc’ Initiative fanden sich Sänger mehrerer
sorbischer Gesangvereine sowie Solisten zusammen, die unter seiner Leitung von
ihm bearbeitete Volkslieder darboten. 1922 gründete er den Verband sorbischer
Gesangvereine. Krawc’ Vorstellungen von einem Wendischen Volksorchester
(1923/24) und einer umfassenden sorbischen Musikbibliothek erfüllten sich nicht.
1927 entstand unter seiner Leitung der Elitechor »Lumir« v. a. für Konzerte
außerhalb der Lausitz. Krawc widmete sich intensiver als die bisherigen
sorbischen Komponisten auch der Instrumental- und Kammermusik sowie
Orchesterwerken. Einen Höhepunkt seines Schaffens stellen das weltliche
Oratorium mit Klavierbegleitung »Wójna a měr« (1945) sowie die »Missa solemnis«
(1932) für gemischten Chor mit Orgelbegleitung dar. Der Lehrer Michał Nawka, musikalischer Leiter des Chors
»Meja« in Radibor, schuf einen Großteil der Texte für Krawc’ Kompositionen. Er
war an der Herausgabe mehrerer Liederbücher beteiligt, darunter dem katholischen
Kirchengesangbuch »Wosadnik«. Der Buchdrucker Korla Gustaw Wowčerk, Dirigent des Bautzener Chors »Nadźija«,
schuf neben gemischten Chorwerken klavierbegleitete Kunstlieder volkstümlichen
Charakters. Ähnlich bekannt wurden Lieder des Lehrers Jan Arnošt Frajšlag,
Chorleiter des Vereins »Łužica« in Obergurig. Auch er komponierte Vokalmusik, überwiegend
sorbische gemischte Chorwerke und Kunstlieder mit Klavierbegleitung.
CDs mit Werken sorbischer Komponisten der Gegenwart; Fotografin: Hana Schön, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Mit dem Tätigkeitsverbot für die Domowina und sämtliche unter ihr aktiven Vereine wurde 1937 der
sorbischen Chorbewegung ein vorläufiges Ende gesetzt (→ NS-Zeit). Lediglich der Chor »Meja« in Radibor
wirkte als Kirchenchor »Cecilija« weiter. 1939 führte er unter Leitung von
Jurij Winar Krawc’ »Boža mša w
kěrlušach« (Messe in Chorälen, 1938) auf. Winar fungierte als Bindeglied
zwischen den Chortraditionen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg sowie zwischen
der Krawc-Pilk’schen Komponistengeneration und den sorbischen Tonkünstlern der
zweiten Hälfte des 20. Jh. Drei Monate nach Kriegsende gab er mit dem Chor
»Meja« ein erstes Konzert in Bautzen und führte – inzwischen als Leiter der
Musikabteilung der Domowina – 1947 das von ihm orchestrierte Oratorium »Nalěćo«
von Kocor auf. Als Initiator der Gründung eines Staatlichen sorbischen
Volksensembles für Musik und Tanz (→ Sorbisches
National-Ensemble, kurz SNE) 1952 wurde Winar zum ersten Intendanten und
künstlerischen Leiter und zwischen 1961 und 1984 Direktor der Musikschule
Bautzen. Er war der erste Vorsitzende des 1957 ins Leben gerufenen
Arbeitskreises sorbischer Musikschaffender (→ Komponistenvereinigung).
Aufführung des geistlichen Oratoriums „Serbske jutry“ (Sorbische Ostern) von Jan Cyž und Chrysta Meškankowa, 2013; Fotograf: Rafael Ledschbor
Jan Rawp war als Komponist und
Musikwissenschaftler (→ Musikwissenschaft) tätig. Er
fungierte als Sekretär des Arbeitskreises, der die Nachfolge der Sektion Musik
der Maćica Serbska übernahm. Seine theoretischen Erkenntnisse zur Eigenart des
sorbischen Volkslieds waren seine Arbeitsgrundlage. Mit seinen sinfonischen
Werken (z. B. »Metamorphosen«, 1964, »Essay«, 1967/68, »Concerto animato«, 1970)
gewann Rawp international Anerkennung. Er sorgte für die Weiterentwicklung des
sorbischen sinfonischen Musikschaffens. Es entstanden Chor- und Kunstlieder
sowie Kammermusik. Der Komponist und Chorleiter Jan Bulank wirkte mehr als 30 Jahre am SNE als Chordirektor und
musikalischer Oberleiter und führte zugleich die Chöre »Budyšin« und »Lipa«.
Bulank schuf v. a. Chorlieder und Chorwerke (u. a. Kantaten, das zyklische
Kammeroratorium »Struga«, 1972, 1981, und die »Missa sorabica«, 1997) sowie
Film- und Unterhaltungsmusik. Für das SNE komponierte er kleinere und größere
Orchester- und Instrumentalwerke sowie Ballettmusik und orchestrierte drei
Oratorien Kocors. Für das SNE war auch Helmut
Fritsche, der dort u. a. als Chorleiter wirkte, kompositorisch
tätig. Als Autodidakt schuf er Kammermusik, sinfonische und Vokalmusik
verschiedener Genres. Der Schwerpunkt des kompositorischen Schaffens des
Komponisten Alfons Janca lag bei
Vokalmusik und orchestralen Werken mit folkloristischer Ausrichtung. Der
Dirigent und Orchesterleiter Jan
Chlebníček schuf eine Vielzahl instrumentaler Kompositionen,
Bühnenwerke sowie Puppentheater- und Schauspielmusik. Chorlieder und
Unterhaltungsmusik schuf auch Beno
Njekela, Musikredakteur beim Radio DDR, Sender Cottbus, der sich für Rundfunkkonzerte
sorbischer Musik einsetzte. Als freier Komponist agierte Jan Pawoł Nagel. Er hinterließ über 400
Kompositionen sowie Eigen- und Fremdbearbeitungen, darunter Kunst- und
Chorlieder, Volksliedbearbeitungen, sakrale Musik, Kammermusik, orchestrale
Werke (darunter fünf Sinfonien) sowie Unterhaltungsmusik. Der sorbischen
Folklore bediente sich Detlef Kobjela,
Musikdramaturg und Intendant am SNE, in seinen Werken der Chor- und Kunstlieder,
der Kammermusik sowie seinen sinfonischen Arbeiten (z. B. »Tři episody za
orchester«, Drei Episoden für Orchester, 1975; sinfonische Suite »Krabat«, 1980,
Ballettoper »Das Jahr der Könige«, 1998; »Spreewaldoperette«, 2008). Eine neue
Perspektive eröffnete Komponist Juro
Mětšk, indem er die Zweite Wiener Schule, Weberns Spätstil und
den »Darmstädter« Serialismus als Inspiration seines Schaffens nutzt.
Internationale Beachtung erfuhren seine Werke »Syndrom« (1985–1987; Septett) und
»Kontraktionen« (1987/88; Oktett). Den Schwerpunkt seines Werks bilden
kammermusikalische Kompositionen. Es entstanden ebenfalls Orchesterwerke, z. B.
»Psychogramy za orchester« (Psychogramme für Orchester, 1976) und »RETOUR pour
grande orchestre« (2003). Dieser Tradition folgte seit Ende der 1980er Jahre
Jan Cyž, Sänger und Dramaturg am
SNE, der überwiegend kammermusikalische Besetzungen, oft mit Gesang bzw.
gesprochenen Texten, schuf. Markant sind Cyž’ anagrammatische Beziehungen
zwischen Text und Musik (z. B. in »Sechs Liedern auf Texte von Benedikt
Dyrlich«, 1992/93) und wortspielerische Werkbezeichnungen (z. B. »… Er Sa(h)
tie(f)…«, 2007). Künstlerisch verfolgt er eine zweite Linie, die dem Bedarf
einerseits der sorbischen Laienpraxis, andererseits des SNE als Auftraggeber
entspricht. Hierzu zählen Bühnen- und Tanzmusik, Musik für Kinder, Chorlieder,
Volksliedbearbeitungen und Unterhaltungsmusik. Das Schaffen des Komponisten und
Musikredakteurs Ulrich Pogoda umfasst
Orchesterwerke (etwa das konzertante Lied »Zymski lěs«, Winterwald, 2000, das
sinfonische Poem »Maria Grollmuß«, 2000/01, und »Acht Segmente für Orchester«,
2001), Bühnenmusik sowie Tanz- und Gesangsszenen mit Orchester. Als
Musikredakteur beim sorbischen Programm des RBB in Cottbus produziert er seit
1985 Musik für den Rundfunk, organisiert niedersorbische Rundfunkkonzerte und
Veranstaltungen. Beachtung finden innerhalb sorbischen Musik im 20. Jh. immer
wieder Werke, die musikalische oder thematische Bezüge zum Sorbischen
herstellen. Für Kunstschaffende wie z. B. Kurt
Karnawka, Dieter Nowka,
Heinz Roy, Dieter Brauer, Dieter Kempe und Liana Bertók ist die Frage nach ethnischer
Zugehörigkeit nicht mehr maßgeblich. Professionelle Komponisten und Musiker
gehören vielfach dem Sorbischen Künstlerbund (seit 1990) an. 1991 wurde der Bund
sorbischer Gesangvereine und 2003 die Sektion Musik der Maćica Serbska
wiedergegründet.
Sorbische Unterhaltungsmusik setzt sich um die Mitte des 20. Jh. mithilfe von
Tanzkapellen und in tschechisch-mährischer Tradition stehenden Blaskapellen
durch. Zunächst wurden diese mit ihrem volkstümlichen Repertoire für sorbische
Veranstaltungen engagiert. Eine breitere Entwicklung nahm die sorbische
Schlager- und Popmusik in den 1980er Jahren mit Tanzkapellen wie »Taifun«,
»Kadenz«, »Privileg«, »Topas« und später »Comeback«, »Wusmuž« (2004), »Con-takt«
(2009), SerBeat (2013?), Logarhytmus (2013) oder Sorbian Art Trio (20??) die
abendfüllend sorbische Unterhaltungsmusik spielen konnten bzw. können.
Beliebte Hits der 1950er und 1960er Jahre von Komponisten wie Njekela, Bulank,
Rawp und Winar, aber auch von Laien erschienen zum Teil auf Schallplatten und
wurden auf Notenblättern bzw. -heften und im Schlagertextbuch »K rejam a
zabawje« (Zu Tanz und Unterhaltung, 1964) veröffentlicht. Wichtigster Förderer
sorbischer Unterhaltungsmusik ist nach wie vor der sorbische Rundfunk, der anfangs mit deutschen Orchestern
und deutschen sowie tschechischen und polnischen Interpreten produzierte, später
u. a. mit Günter Schwientek und
Křesćan »James« Młynk. Erweiterte
Sendezeit ab 1989 erforderte mehr Titel und Interpreten. Seither entstehen viele
Produktionen in privaten Tonstudios, deren Betreiber meist auch über die
Arrangements entscheiden. Im Bereich des Schlagers profilierte sich in den
1990er Jahren Měrćin Weclich als
Komponist, Sänger und Förderer sorbischer Talente.
Günter Schwientek, 1976; Fotograf: Rolf Dvoraček, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Sorbische Rockmusik beginnt sich Ende des 20. Jh. in verschiedenen Facetten zu
entwickeln, nachdem in den 1960ern die Beat-Band »Hercy« und in den 1970ern
»Servi Pacis« aktiv waren und in den 1980ern »Honky Tonky« sorbische Titel im
Repertoire hatte. In den 1990er Jahren gelang es der Projektband »Łužica«
umfangreiche Rockevents zu organisieren. Aus dem Sorbischen Gymnasium Bautzen
gingen mehrere Bands hervor, die sich härterer Stile bedienen, so etwa »Stoned
Hajtzer«, »Crying Blue«, »Awful Noise« und »DeyziDoxs«. Das Interesse dafür
findet u. a. Ausdruck im Festival Nuckstock (seit 1997). Sorbischer Rap,
teilweise kombiniert mit Folklore-Elementen, produziert das Duo »Serbska GmbH«.
Crossover-Effekte mit sorbischer Volksmusik schaffen auch die Folk-Punk-Band
»Berlinska Dróha«, die Folk-Rock-Band »Die Folksamen« und die Band »JANKAHANKA«.
Eng an die Folklore anknüpfend gestalten Vokal- und Instrumentalgruppen wie
»Sprjewjan«, »Judahej«, »Wólbernosće« und »Přezpólni« ihr Repertoire. In
Crostwitz sind die zwei
sorbischen Blasmusikkapellen »Chróšćanscy muzikanća« (seit 1978) und »Horjany«
(seit 1994) beheimatet. Als Liedermacher tritt vor allem Bernd Pittkunings in
der Niederlausitz in Erscheinung. Beliebt sind musikalische Kabaretts wie »Lózy
Hólcy« (1993–1999) und »SG Sněhowka« (seit 2000).
Plakat der Gruppen „Berlinska Dróha“ und „Čorna KruŠwa“; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut
Seit 1989/90 wurde die Aufzeichnung und Vermarktung sorbischer Musik aller Genres
als CDs und Noten v. a. durch die Stiftung für das sorbische
Volk gefördert. Ziel ist es, sorbische Musik einem möglichst breiten
Publikum national und international zugänglich zu machen. Die Verbreitung
erfolgt überwiegend durch den sorbischen Rundfunk, weiterhin beispielsweise
durch Porträtkonzerte von Komponisten, Chorkonzerte, Präsentationen bei
regionalen, nationalen und internationalen Festivals sowie
Kulturveranstaltungen. Eine große Anzahl von Folkloregruppen, wo alle
Altersklassen vertreten sind, widmet sich heute sorbischer Volksmusik und
-tänzen. In diesem Zuge etablierte sich seit 1995 das Internationale
Folklorefestival »Lausitz« in Crostwitz und seit 2001 die Internationale
»Folklorelawine« im Landkreis Spree-Neiße. Seit 2002 widmet sich der Verein für
authentische sorbische Volksmusik dem Erhalt und der Pflege sorbischer
Volkslieder. Mit einem breit gefächerten Angebot verschiedener musikalischer
Genres stellt sorbische Musik heute eine gemeinschaftsbildende Kraft dar, die
die sorbische Identität entscheidend mitprägt.
Lit.: J. Raupp: Sorbische Musik, Bautzen 1966; D. Kobjela/W. Meschkank: Vom
Regenzauberlied bis zur wendischen Pop-Ballade. Ein Beitrag zur Musikgeschichte
der Lausitz unter besonderer Darstellung der niedersorbischen Musikgeschichte,
Potsdam 2000; F. Kaulfürst: Rock- und Popmusik bei den Sorben, in: Zeitmaschine
Lausitz. Raum-Erfahrungen – Leben in der Lausitz, Hg. S. Hose, Dresden/Husum
2004; D. Kobjela: Sorben, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 8,
Stuttgart/Weimar 1998 R. Statelova: Musikalische Begegnungen bei den Sorben,
Bautzen 2013.