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Bienenzucht
von Alfred Müßiggang

Einer der Haupterwerbszweige sorbischer Siedler in der Lausitz, besonders in den waldreichen Regionen. Bienenzucht diente zur Gewinnung von Honig und Wachs, die zu den typischen Abgaben an die Feudalherrschaft bzw. an Kirche und Klöster gehörten. Honig war bis Mitte des 19. Jh. das häufigste Süßungsmittel. Wachs brauchte man zur Produktion von Kerzen. So hatte die Wittenberger Schlosskirche vor der Reformation einen Jahresbedarf von über 35 000 Pfund.

Hadam Bohuchwał Šěrach, Kupferstich, 1767; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

Die sorbischen Waldimker, in zahlreichen Urkunden auch Deditzer genannt (möglicherweise aus urslawisch *děti ‘tun, machen’ mit der speziellen Bedeutung in der Waldbienenzucht, vgl. polnisch dziać ‘Waldbienenstöcke anlegen’), hatten sich in größeren Personenverbänden, den sog. Starosteien zusammengeschlossen, bei denen der Starost (der Älteste, vgl. sorb. starosta) den Gerichtsvorsitz führte. Die bis ins 18. Jh. vorherrschende Waldimkerei hinterließ zahlreiche Spuren in Personen- und Ortsnamen. Sie nutzte zunächst natürliche, später meist künstliche Baumhöhlen zur Ansiedlung von Bienenvölkern. Für die eckigen Baumhöhlen, die in 3–4 m Höhe zum Schutz vor natürlichen Räubern, besonders Bären, eingelassen wurden, waren Bäume mit einem unteren Stammumfang von mindestens einem Meter erforderlich. Der Erlös aus der Waldimkerei übertraf in vielen Fällen den Ertrag aus der Holzgewinnung. Die Zeidler pachteten Bienenbäume, für die sie dem Grundherrn einen Zeidelzins zahlten. Zur Honiggewinnung wurden die Waben mit dem langen Zeidelmesser ausgeschnitten, der Honig daheim ausgepresst.

Illustration aus H. B. Šěrachs »Waldbienenzucht«, 1774; Repro: Sorbische Zentralbibliothek am Sorbischen Institut

Die Vermehrung der Bienenvölker erfolgte ausschließlich durch Schwärme. Künstliche Ablegerbildung wurde erst im 18. Jh. durch den evangelischen Pfarrer von Kleinbautzen, Hadam Bohuchwał Šěrach, einen international geschätzten Theoretiker und Praktiker, eingeführt. Er entdeckte den nach ihm benannten Schirach’schen Betrug, bei dem in der Nachschaffungszucht aus Larven von Arbeitsbienen Königinnen erzeugt werden. Mit mehreren Büchern wurde er zu einem herausragenden Naturforscher (u. a. „Der Sächsische Bienenmeister“, 1769). Er begründete die erste Bienengesellschaft der Oberlausitz (1766), die als Vorbild für andere deutscher Länder sowie das Ausland wirkte.

Die Gesellschaften der Zeidler zählten nicht zu den freien Zünften. Ihnen gehörten neben Bürgern und Bauern auch Leibeigene des jeweiligen Gebiets an. Sie arbeiteten auf der Basis regional unterschiedlicher Statuten und Privilegien, die Aufsicht übte der Grundherr aus. Während der Märkte wurden Versammlungen abgehalten, die der gewählte Starost oder Zeidelrichter in Anwesenheit eines Vertreters der Obrigkeit leitete. Dort wurden alle statuarisch erforderlichen Angelegenheiten erörtert, Streitfälle behandelt und der Zeidelzins abgeführt.

Zentren der Bienenzucht in der Lausitz waren die Gegenden um die Klöster Dobrilugk und Neuzelle, das Gebiet um Luckau, das Hoyerswerdaer Land, die Görlitzer Heide sowie die Wälder der Standesherrschaft Muskau. Während weiter nördlich die Waldimkerei schon im 16. Jh. erlosch, hielt sie sich im Muskauer und Hoyerswerdaer Raum bis Ende des 18. Jh. Der Anteil der Lausitz an Sachsen betrug zwar nur etwa ein Zehntel, die Zahl der Bienenvölker aber kam derjenigen in den Erblanden gleich. Bemühungen der sächsischen Behörden, die Imkerei mithilfe sorbischer Zeidler zwecks Erhöhung der Staatseinnahmen auf weitere Regionen auszudehnen, blieben v. a. wegen mangelnder Deutschkenntnisse der Produzenten ohne Erfolg.

Bienenzüchter in Mühlrose, um 1970; Fotograf: Gerhard Joppich, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Im Laufe des 18. Jh. verlagerte sich die Bienenzucht in die Haus- und Bauerngärten, die Zeidelwirtschaft kam allmählich zum Erliegen. Von der Vielzahl der einst genutzten Bienenbäume ist nichts erhalten. Manche Museen besitzen aus Beutenbäumen herausgeschnittene, im Garten aufgestellte Klotzbeuten oder deren Abbildungen. Doch auch nach dem Niedergang der Zeidelwirtschaft war die Imkerei bis zur Mitte des 20. Jh. in den Dörfern der Lausitz weit verbreitet. Zu den meisten Bauernhöfen gehörte ein Bienenstand. Für die Bienenzucht in Hausgärten wurden zunächst aus Stroh geflochtene, dann aus Holz gefertigte Beuten verwendet. Heute sind die Bienenstöcke oft aus Plastik. Der Mobilbau ermöglichte die Einführung beweglicher Waben, die nach Ausschleudern des Honigs erneut eingesetzt werden. Durch Wechsel von der heimischen Bienenrasse zur ertragreicheren und sanftmütigeren, vom nördlichen Balkan stammenden sog. Carnicabiene gelang es in den vergangenen Jahrzehnten, den Ertrag pro Volk im Vergleich zur Waldimkerei beträchtlich zu steigern. In der katholischen Region gibt es seit 1906 in Crostwitz und seit 1923 in Cunnewitz Imkervereine, deren Vereinsarbeit (fachliche Hilfeleistung) und Versammlungen ausschließlich in sorbischer Sprache stattfanden. Der Verein „Serbska Pčolnica“ mit Sitz in Crostwitz besteht bis heute.

Lit.: A. G. Schirach: Wald-Bienenzucht, Breslau 1774; K. Pieradzka: Uwagi o bartnictwie na Łużycach, in: Pamiętnik Słowiański 1 (1949); P. Nedo: Přiručka za serbskich ludowědnikow. 3: Ludowe powołanja, Budyšin 1958; H. Graf v. Arnim-Muskau/​W. A. Boelcke: Muskau, Standesherrschaft zwischen Spree und Neiße. Berlin/​Frankfurt a. M./​Wien 1978; K. Müllenhoff: Die Geschichte der märkischen Bienenzucht, in: Brandenburgia 7 (1898/99); W. Wenzel: Die altsorbische Kultur im Spiegel der Orts- und Personennamen, in: Neues Lausitzisches Magazin, NF 14 (2011).

Metadaten

Titel
Bienenzucht
Titel
Bienenzucht
Autor:in
Müßiggang, Alfred
Autor:in
Müßiggang, Alfred
Schlagwörter
Zeidlerei; Waldbienenzucht; Honig; Nutztier
Schlagwörter
Zeidlerei; Waldbienenzucht; Honig; Nutztier
Abstract

Einer der Haupterwerbszweige sorbischen Siedler in der Lausitz, besonders in den waldreichen Regionen. Bienenzucht diente zur Gewinnung von Honig und Wachs, die zu den typischen Abgaben an die Feudalherrschaft bzw. an Kirche und Klöster gehörten.

Abstract

Einer der Haupterwerbszweige sorbischen Siedler in der Lausitz, besonders in den waldreichen Regionen. Bienenzucht diente zur Gewinnung von Honig und Wachs, die zu den typischen Abgaben an die Feudalherrschaft bzw. an Kirche und Klöster gehörten.

Enthalten in Sammlung
Enthalten in Sammlung
Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
Im Sorabicon 1.0 zu finden unter

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