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Personen­namen
von Walter Wenzel

Anthroponyme (aus griech. ánthrōpos ,Mensch‘ und ónoma, ónyma ,Name‘); übergeordneter Terminus für alle Arten von Benennungen menschlicher Individuen, d. h. für Rufname, Vorname, Beiname, Familienname, Spitzname usw.

Als die Vorfahren der Sorben in die Lausitz einwanderten (→ Besiedlung), besaß jeder von ihnen nur einen Rufnamen. Auch Übernamen konnten als Rufnamen fungieren. Viel häufiger dienten sie aber als Bei- und später als Familiennamen. Vollnamen setzen sich aus zwei Namengliedern zusammen, zwischen denen ein Bindevokal steht, z. B. Lubosław, aus urslaw. *ľubъ ,lieb‘ und *slava ,Ruhm, Ehre‘. Ihrer Grundbedeutung nach sind es Wunschnamen, denn sie sollten dem Neugeborenen Ruhm, Ehre, Kampfgeist, Sieg, Frieden oder sonstige positive Eigenschaften bescheren. Kurzformen entstanden durch Weglassen eines Namengliedes, wobei das verbliebene Glied mit einem oder zwei Suffixen versehen werden konnte, z. B. Luba, Lubik, Luboš, Luboško. Das Vorderglied ließ sich noch weiter kürzen, in diesem Fall zu Lu-, an das sich ein Suffix -ch oder anschloss, so bei Luch und Luš, durch ein zusätzliches Suffix erweitert zu Lušik, Lušk oder Luška. Übernamen hingegen sagen etwas aus über körperliche, geistige oder charakterliche Eigenheiten eines Menschen, seine Körpergröße, Haar- oder Hautfarbe, auffällige Körperteile usw., z. B. Małki ,Klein‘. Hier spielen auch Vergleiche mit Tieren eine Rolle, z. B. Kos ,Amsel‘, Rak ,Krebs‘.

Nach der deutschen Eroberung (→ Unterwerfung) sowie mit der Entstehung von Städten, der Entwicklung von Handel und Gewerbe, schließlich mit der Vervollkommnung des Abgaben- und Steuersystems setzte sich die Tendenz durch, dem Rufnamen einen Beinamen hinzuzufügen, um die Identifizierung von gleichnamigen Personen zu gewährleisten. Damit war der entscheidende Schritt von der Einnamigkeit zur Zweinamigkeit vollzogen. Die ältesten Einwohnerverzeichnisse der Lausitz, so das Zinsregister des Klosters St. Marienstern (1374–1382), das Landregister Sorau/​heute: Żary (Polen) (1381) und die Steuerlisten der Stadt Bautzen (1399–1408), führen eine Vielzahl von Personen mit einem Ruf- und einem Beinamen an. Im Laufe der Zeit konnte der Beiname vom Vater auf den Sohn übergehen und erblich werden, so entstanden Familiennamen. In größerer Anzahl sind sorbische Personennamen aus den Dörfern und Städten beider Lausitzen erst ab dem 15. Jh. in Abgabenverzeichnissen, Urbaren, Steuerregistern, Stadtbüchern usw. überliefert. Bei diesen Namen handelt es sich meist um Haus- und Hofnamen, die über Generationen an demselben Haus bzw. Hof hafteten; heiratete ein Fremder in einen solchen Hof ein, so übernahm er den Namen des vorherigen Besitzers. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jh. erlangten die anfangs noch unfesten und unverbindlichen Beinamen bei allen Bevölkerungsschichten den offiziellen Status unveränderlicher und erblicher Familiennamen. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Kirchenbücher, d. h. die Tauf-, Trau- und Sterberegister in den jeweiligen Pfarrämtern.

Die sorbischen Familiennamen entwickelten sich aus ursprünglich slawischen, christlichen oder deutschen Rufnamen, aus Ortsnamen und Stammesnamen sowie aus sorbischen (darunter auch aus dem Deutschen entlehnten) Appellativen (Gattungsbezeichnungen). Die häufigsten Personennamenbasen bei Familiennamen aus slawischen Rufnamen sind Dom- (aus Domasław und ähnlichen Vollnamen), Lub- (aus Lubosław u. Ä.), Rad- (aus Radosław u. Ä.), Wel- (aus Welemił u. Ä.), bei den Familiennamen aus christlichen Rufnamen Han- und Jan- (aus Johannes), Kub- (aus Jacobus), Ben- (aus Benedictus), bei den Familiennamen aus deutschen Rufnamen Hajn- (aus Heinrich), Kun- (aus Konrad), Her- (aus Hermann). Zur Ableitung der Familiennamen dienten vor allem die Einzelsuffixe -ik, -iš und -ak sowie die Suffixverbindungen + -k-, -n + k-, -en + ’c (Letzeres besonders im Niedersorbischen). Zur Anwendung kamen hierbei laut Quellen des 14. bis 18. Jh. rund 75 verschiedene Einzelsuffixe und 120 Suffixkombinationen.

Ihrer Grundmotivation nach lassen sich die sorbischen (wie auch die deutschen) Familiennamen in fünf Gruppen einteilen: 1. Familiennamen aus slawischen, christlichen und deutschen Rufnamen entstanden meist dadurch, dass dem Rufnamen einer Person der Rufname einer anderen, oft verwandten Person, in der Regel der des Vaters, hinzugefügt wurde, sodass hier eine patronymische Beziehung zum Ausdruck kam. So heißt in einer Quelle der Sohn des Andrej Christoph Andreick (mit Diminutivsuffix, also ,der kleine Andrej‘). – 2. Familiennamen nach der Herkunft kennzeichneten eine Person nach dem Ort, aus dem sie zugezogen war, z. B. niedersorb. Huraz, nach dem Dorf Huraz, dt. Auras. Herkunftsnamen in sorbischer Form sind sehr selten, die meisten beruhen auf eingedeutschten sorbischen oder deutschen Ortsnamen. Nur vereinzelt treten Herkunftsnamen mit dem Suffix -ski auf, so Salowski ,einer aus Salow, dt. Saalau‘. Dazu gehören im weiteren Sinne auch Familiennamen aus Stammes- und Völkernamen: Serbin, Sarban, Němc, Duč(k) ,Deutscher‘. – 3. Familienamen von nach einer Wohnstätte benannten Personen nach der Lage ihres Wohnsitzes in der Landschaft, in der Siedlung usw., z. B. Nagora (bei einer Anhöhe), Końcak (am Ende der Siedlung), Nugłyš(k) (im Winkel). – 4. Familiennamen nach dem Beruf, der sozialen Stellung, z. B. niedersorb. Kowal, obersorb. Kowar ,Schmied‘, niedersorb. Kjarcmaŕ, obersorb. Korčmar ,Gastwirt‘, obersorb. Krawc, niedersorb. Šlodaŕ ,Schneider‘. Aus Amtsbezeichnungen gingen hervor: Starosta ,(Dorf-)Ältester‘, Župan niedersorb. ,Vorstand der Bienenzüchter‘, obersorb. ,Gaugraf‘, Šołta ,Schulze‘, niedersorb. Lenik, obersorb. Wićaz ,Lehmann‘. – 5. Familiennamen aus Übernamen: niedersorb. Carnak, -ik, -iš, obersorb. Čornak ,Schwarz‘, Brodak ,Mann mit Bart‘, niedersorb. Głowac, obersorb. Hłowač ,Großkopf‘; nach Tierbezeichnungen: Baran ,Widder, Schafbock‘, Kokot ,Hahn‘, Kozoł ,Ziegenbock‘, Sykora ,Kohlmeise‘, niedersorb./​obersorb. Cyž, obersorb. Čiž(ik) ,Zeisig‘. Die zehn häufigsten Familiennamen in Quellen des 14. bis 18. Jh. lauten: niedersorb. Nowak, Kowal, Kosac, Juriš, Końcak, Budaŕ, Šejc, Pěšk, Bartuš, Bjeniš; obersorb. Nowak, Bartuš, Šołta, Hanuš, Pětšik, Kral, Wićaz, Jank, Pětš, Jenč. Viele Familiennamen kommen nur in einer bestimmten Gegend vor, bilden größere oder kleinere Areale und grenzen oft die obersorbischen gegen die niedersorbischen Namen- und Sprachlandschaft ab.

Die sorbischen Vornamen beruhen fast alle auf christlichen und deutschen Rufnamen, denn nach der deutschen Eroberung (→ Christianisierung) übernahmen die meisten slawischen Rufnamen die Funktion von Haus- und Hofnamen, später von Familiennamen. In den historischen Quellen erscheinen oft: Jan (aus Johannes), Jurij, Juro (aus Georg), Matyj (aus Matthäus oder Matthias), Pawoł (aus Paulus), Pětš (aus Petrus), Beno (aus Benedictus), Kuba, -o (aus Jacobus), Brica, Frica, -ko (aus Fritz, Friedrich); als weibliche Vornamen: Hana (aus Anna), niedersorb. Hylža, obersorb. Hilža (aus Elisabeth), niedersorb. Kaśa (aus Katharina), Madlena (aus Magdalena), Orta (aus Dorothea). Im 20. Jh. fanden im obersorbischen Sprachgebiet v. a. Verwendung: Beno, Fryc(a, -o), Frido (aus dt. Siegfried), Handrij, Hanso, Hinc(o), Jan, Jurij, Juro, Maćij, Matej, Měrćin, Michał, Pawoł, Pětr und aus einem alten slawischen Rufnamen Měrko; weiblich Borbora, Greta, Hana, Hańža, Jana, Lejna, Liska, Marija, Róža, Ruta, Wórša, Wóršula, Zuza. Daneben tragen Sorben auch deutsche Rufnamen, so Dietrich, Helmut usw. Im Familien- und Freundeskreis gebraucht man oft Verkleinerungs- und Koseformen: Jank(o), Jurk(o), Měrćink; weibl. Hańžka, Hanka, Janka, Lenka, Zuzanka. Hinzu kamen in neuerer Zeit Vornamen aus dem Englischen (Mike, Peggy), dem Französischen (André, Denise) u. a. Modenamen.

Der Gesamtname, d. h. der Vorname zusammen mit dem Familiennamen, kann in zwei phonematisch-graphematischen Formen auftreten: In sorbischer Lautung in der mündlichen Kommunikation und schriftlich im sorbischen Schrifttum, in deutscher Lautgestalt im deutsch geführten Gespräch und in deutscher Schreibung im deutschen Schriftverkehr. So können Namenpaare wie Hinc Šewc und Heinz Schuster entstehen. Dabei beruht Šewc oder Schuster auf Übersetzung, und Hinc ist die sorabisierte Form von Heinz. Manchmal werden, besonders bei Vertretern der sorbischen Intelligenz, beide Familiennamenformen kombiniert: Schuster-Šewc, Scholze-Šołta. In Abhängigkeit von der Kommunikationssituation kann ein und dieselbe Person Kowar oder Schmidt, Wićaz oder Lehmann heißen. Bei der Integrierung sorbischer Personennamen ins Deutsche kam es zum Teil zu tief greifenden Veränderungen in der Lautung und Schreibung, so wurde obersorb. Krawc als Krautz eingedeutscht, Zahrodnik als Sarodnig oder Sarodnick, Smoła als Schmolle oder Schmole, niedersorb. Kśišank, obersorb. Křižank als Zschieschang, niedersorb. Kowal als Koal usw. Die deutschen Namenformen sind überwiegend die offiziellen Namen und stehen im Ausweis. (→ Sorbengesetze) Das deutsche Namenrecht lässt nur eine Variante zu, z. B. Krautz oder Krawc.

Im Unterschied zum Deutschen erfolgt im Sorbischen eine spezielle Kennzeichnung von Frauen, Söhnen, Töchtern sowie der gesamten Familie mithilfe von Suffixen: Der Familienname der Frau wird vom Familiennamen des Mannes mithilfe der Movierungssuffixe -owa, -ina bzw. -yna abgeleitet, umgangssprachlich oft mit -ka: Hana Nowakowa, Šołćina, niedersorb. Šołśina (von Šołta), niedersorb. Nowcyna (von Nowka), obersorb. Wjeńcyna (von Wjeńka), neben Budarjowa umgangssprachlich auch Budarka (von Budar). Die Familiennamen der Söhne und der verheirateten Frauen werden in der Umgangssprache im Obersorbischen mit den patronymischen Suffixen -ec (aus *-owic oder *-ewic) oder -ic gebildet, wenn der Vorname nach dem Familienname steht, z. B. Janakec Pětr, Wjeselic Měrćin, offiziell Pětr Janak, Měrćin Wjesela bzw. Šołćic Hańža, Kubašec Marja, offiziell Hańža Šołćina, Marja Kubašowa. Bei Töchtern werden diese Suffixe auch in der Standardsprache gebraucht: Marja Domaškec, Leńka Šołćic. Im Niedersorbischen sind bei Mädchennamen -ojc bzw. -ejc sowie -ic bzw. -yc üblich: Hanka Starikojc, Kowalejc, Šołśic, Lažcyc (von Lažki). Jungennamen haben im Niedersorbischen die possessive Adjektivform auf -owy, -iny bzw. -yny: Měto Nowakowy, Šołśiny, Lanzyny (von Langa). Die gesamte Familie wird im Niedersorbischen mit -owe, -ine bzw. -yne oder -ojc bzw. -ejc, -ic bzw. -yc gekennzeichnet (Nowakowe, Šołśine, Starikojc, Kowalejc ,Die Nowaks‘, d. h. ,die Familie Nowak‘), im Obersorbischen mit -ec bzw. -ic (Nawkec, Šołćic).

Lit.: E. Muka: Słownik dolnoserbskeje rěcy a jeje narěcow, Band III, Pśidanki, Prag 1928, darin: M´eńa ds. swójźbow a domow/​Die niedersorbischen Familiennamen; W. Wenzel: Studien zu sorbischen Personennamen, Band I, II/1, II/2, III, Bautzen 1987, 1991, 1992, 1994; M. Starosta: Niedersorbisch schnell und intensiv 2, Bautzen 1992; E. Rzetelska-Feleszko: Serbske mjenja a pomjenowanja, in: Serbšćina. Najnowsze dzieje języków słowiańskich, Red. H. Faska, Opole 1998; W. Wenzel: Lausitzer Familiennamen slawischen Ursprungs, Bautzen 1999; W. Wenzel: Niedersorbische Personennamen aus Kirchenbüchern des 16. bis 18. Jahrhunderts, Bautzen 2004.

Metadaten

Titel
Personen­namen
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Personen­namen
Autor:in
Wenzel, Walter
Autor:in
Wenzel, Walter
Schlagwörter
Namenkunde; Anthroponym; Oberlausitz; Niederlausitz; Sorbische Sprache(n); Slawisch; Sprachgeschichte; Familienname
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Namenkunde; Anthroponym; Oberlausitz; Niederlausitz; Sorbische Sprache(n); Slawisch; Sprachgeschichte; Familienname
Abstract

Anthroponyme; übergeordneter Terminus für alle Arten von Benennungen menschlicher Individuen, d. h. für Rufname, Vorname, Beiname, Familienname, Spitzname usw.

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Anthroponyme; übergeordneter Terminus für alle Arten von Benennungen menschlicher Individuen, d. h. für Rufname, Vorname, Beiname, Familienname, Spitzname usw.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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