Anthroponyme (aus griech. ánthrōpos ,Mensch‘ und ónoma,
ónyma ,Name‘); übergeordneter Terminus für alle Arten von
Benennungen menschlicher Individuen, d. h. für Rufname, Vorname, Beiname,
Familienname, Spitzname usw.
Als die Vorfahren der Sorben in die Lausitz einwanderten (→ Besiedlung), besaß
jeder von ihnen nur einen Rufnamen. Auch Übernamen konnten als Rufnamen
fungieren. Viel häufiger dienten sie aber als Bei- und später als Familiennamen.
Vollnamen setzen sich aus zwei Namengliedern zusammen, zwischen denen ein
Bindevokal steht, z. B. Lubosław, aus urslaw. *ľubъ ,lieb‘ und
*slava ,Ruhm, Ehre‘. Ihrer Grundbedeutung nach sind es Wunschnamen,
denn sie sollten dem Neugeborenen Ruhm, Ehre, Kampfgeist, Sieg, Frieden oder
sonstige positive Eigenschaften bescheren. Kurzformen entstanden durch Weglassen
eines Namengliedes, wobei das verbliebene Glied mit einem oder zwei Suffixen
versehen werden konnte, z. B. Luba, Lubik, Luboš,
Luboško. Das Vorderglied ließ sich noch weiter kürzen, in diesem
Fall zu Lu-, an das sich ein Suffix -ch oder -š
anschloss, so bei Luch und Luš, durch ein zusätzliches Suffix
erweitert zu Lušik, Lušk oder Luška. Übernamen
hingegen sagen etwas aus über körperliche, geistige oder charakterliche
Eigenheiten eines Menschen, seine Körpergröße, Haar- oder Hautfarbe, auffällige
Körperteile usw., z. B. Małki ,Klein‘. Hier spielen auch Vergleiche mit
Tieren eine Rolle, z. B. Kos ,Amsel‘, Rak ,Krebs‘.
Nach der deutschen Eroberung (→ Unterwerfung) sowie mit der Entstehung von
Städten, der Entwicklung von Handel und Gewerbe, schließlich mit der
Vervollkommnung des Abgaben- und Steuersystems setzte sich die Tendenz durch,
dem Rufnamen einen Beinamen hinzuzufügen, um die Identifizierung von
gleichnamigen Personen zu gewährleisten. Damit war der entscheidende Schritt von
der Einnamigkeit zur Zweinamigkeit vollzogen. Die ältesten
Einwohnerverzeichnisse der Lausitz, so das Zinsregister des Klosters St.
Marienstern (1374–1382), das Landregister Sorau/heute: Żary (Polen) (1381) und
die Steuerlisten der Stadt Bautzen (1399–1408), führen eine Vielzahl von
Personen mit einem Ruf- und einem Beinamen an. Im Laufe der Zeit konnte der
Beiname vom Vater auf den Sohn übergehen und erblich werden, so entstanden
Familiennamen. In größerer Anzahl sind sorbische Personennamen aus den Dörfern
und Städten beider Lausitzen erst ab dem 15. Jh. in Abgabenverzeichnissen,
Urbaren, Steuerregistern, Stadtbüchern usw. überliefert. Bei diesen Namen
handelt es sich meist um Haus- und Hofnamen, die über Generationen an demselben
Haus bzw. Hof hafteten; heiratete ein Fremder in einen solchen Hof ein, so
übernahm er den Namen des vorherigen Besitzers. Erst in der zweiten Hälfte des
18. Jh. erlangten die anfangs noch unfesten und unverbindlichen Beinamen bei
allen Bevölkerungsschichten den offiziellen Status unveränderlicher und
erblicher Familiennamen. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Kirchenbücher,
d. h. die Tauf-, Trau- und Sterberegister in den jeweiligen Pfarrämtern.
Die sorbischen Familiennamen entwickelten sich aus ursprünglich slawischen,
christlichen oder deutschen Rufnamen, aus Ortsnamen und Stammesnamen sowie aus
sorbischen (darunter auch aus dem Deutschen entlehnten) Appellativen
(Gattungsbezeichnungen). Die häufigsten Personennamenbasen bei Familiennamen aus
slawischen Rufnamen sind Dom- (aus Domasław und ähnlichen
Vollnamen), Lub- (aus Lubosław u. Ä.), Rad- (aus
Radosław u. Ä.), Wel- (aus Welemił u. Ä.), bei
den Familiennamen aus christlichen Rufnamen Han- und Jan- (aus
Johannes), Kub- (aus Jacobus), Ben- (aus
Benedictus), bei den Familiennamen aus deutschen Rufnamen
Hajn- (aus Heinrich), Kun- (aus Konrad),
Her- (aus Hermann). Zur Ableitung der Familiennamen
dienten vor allem die Einzelsuffixe -ik, -iš und -ak
sowie die Suffixverbindungen -š + -k-, -n +
k-, -en + ’c (Letzeres besonders im
Niedersorbischen). Zur Anwendung kamen hierbei laut Quellen des 14. bis 18. Jh.
rund 75 verschiedene Einzelsuffixe und 120 Suffixkombinationen.
Ihrer Grundmotivation nach lassen sich die sorbischen (wie auch die deutschen)
Familiennamen in fünf Gruppen einteilen: 1. Familiennamen aus slawischen,
christlichen und deutschen Rufnamen entstanden meist dadurch, dass dem Rufnamen
einer Person der Rufname einer anderen, oft verwandten Person, in der Regel der
des Vaters, hinzugefügt wurde, sodass hier eine patronymische Beziehung zum
Ausdruck kam. So heißt in einer Quelle der Sohn des Andrej Christoph
Andreick (mit Diminutivsuffix, also ,der kleine Andrej‘). – 2.
Familiennamen nach der Herkunft kennzeichneten eine Person nach dem Ort, aus dem
sie zugezogen war, z. B. niedersorb. Huraz, nach dem Dorf
Huraz, dt. Auras. Herkunftsnamen in sorbischer Form sind sehr
selten, die meisten beruhen auf eingedeutschten sorbischen oder deutschen
Ortsnamen. Nur vereinzelt treten Herkunftsnamen mit dem Suffix -ski
auf, so Salowski ,einer aus Salow, dt. Saalau‘. Dazu gehören im
weiteren Sinne auch Familiennamen aus Stammes- und Völkernamen: Serbin,
Sarban, Němc, Duč(k) ,Deutscher‘. – 3.
Familienamen von nach einer Wohnstätte benannten Personen nach der Lage ihres
Wohnsitzes in der Landschaft, in der Siedlung usw., z. B. Nagora (bei
einer Anhöhe), Końcak (am Ende der Siedlung), Nugłyš(k) (im
Winkel). – 4. Familiennamen nach dem Beruf, der sozialen Stellung, z. B.
niedersorb. Kowal, obersorb. Kowar ,Schmied‘, niedersorb.
Kjarcmaŕ, obersorb. Korčmar ,Gastwirt‘, obersorb.
Krawc, niedersorb. Šlodaŕ ,Schneider‘. Aus
Amtsbezeichnungen gingen hervor: Starosta ,(Dorf-)Ältester‘,
Župan niedersorb. ,Vorstand der Bienenzüchter‘, obersorb.
,Gaugraf‘, Šołta ,Schulze‘, niedersorb. Lenik, obersorb.
Wićaz ,Lehmann‘. – 5. Familiennamen aus Übernamen: niedersorb.
Carnak, -ik, -iš, obersorb. Čornak
,Schwarz‘, Brodak ,Mann mit Bart‘, niedersorb. Głowac,
obersorb. Hłowač ,Großkopf‘; nach Tierbezeichnungen: Baran
,Widder, Schafbock‘, Kokot ,Hahn‘, Kozoł ,Ziegenbock‘, Sykora
,Kohlmeise‘, niedersorb./obersorb. Cyž, obersorb. Čiž(ik)
,Zeisig‘. Die zehn häufigsten Familiennamen in Quellen des 14. bis 18. Jh.
lauten: niedersorb. Nowak, Kowal, Kosac,
Juriš, Końcak, Budaŕ, Šejc,
Pěšk, Bartuš, Bjeniš; obersorb. Nowak,
Bartuš, Šołta, Hanuš, Pětšik,
Kral, Wićaz, Jank, Pětš, Jenč.
Viele Familiennamen kommen nur in einer bestimmten Gegend vor, bilden größere
oder kleinere Areale und grenzen oft die obersorbischen gegen die
niedersorbischen Namen- und Sprachlandschaft ab.
Die sorbischen Vornamen beruhen fast alle auf christlichen und deutschen
Rufnamen, denn nach der deutschen Eroberung (→ Christianisierung) übernahmen die
meisten slawischen Rufnamen die Funktion von Haus- und Hofnamen, später von
Familiennamen. In den historischen Quellen erscheinen oft: Jan (aus
Johannes), Jurij, Juro (aus Georg),
Matyj (aus Matthäus oder Matthias),
Pawoł (aus Paulus), Pětš (aus Petrus),
Beno (aus Benedictus), Kuba, -o (aus
Jacobus), Brica, Frica, -ko (aus
Fritz, Friedrich); als weibliche Vornamen: Hana
(aus Anna), niedersorb. Hylža, obersorb. Hilža (aus
Elisabeth), niedersorb. Kaśa (aus Katharina),
Madlena (aus Magdalena), Orta (aus
Dorothea). Im 20. Jh. fanden im obersorbischen Sprachgebiet v. a.
Verwendung: Beno, Fryc(a, -o), Frido (aus dt.
Siegfried), Handrij, Hanso, Hinc(o),
Jan, Jurij, Juro, Maćij, Matej,
Měrćin, Michał, Pawoł, Pětr und aus
einem alten slawischen Rufnamen Měrko; weiblich Borbora,
Greta, Hana, Hańža, Jana,
Lejna, Liska, Marija, Róža, Ruta,
Wórša, Wóršula, Zuza. Daneben tragen Sorben auch
deutsche Rufnamen, so Dietrich, Helmut usw. Im Familien- und
Freundeskreis gebraucht man oft Verkleinerungs- und Koseformen:
Jank(o), Jurk(o), Měrćink; weibl. Hańžka,
Hanka, Janka, Lenka, Zuzanka. Hinzu
kamen in neuerer Zeit Vornamen aus dem Englischen (Mike,
Peggy), dem Französischen (André, Denise) u. a.
Modenamen.
Der Gesamtname, d. h. der Vorname zusammen mit dem Familiennamen, kann in zwei
phonematisch-graphematischen Formen auftreten: In sorbischer Lautung in der
mündlichen Kommunikation und schriftlich im sorbischen Schrifttum, in deutscher
Lautgestalt im deutsch geführten Gespräch und in deutscher Schreibung im
deutschen Schriftverkehr. So können Namenpaare wie Hinc Šewc und
Heinz Schuster entstehen. Dabei beruht Šewc oder
Schuster auf Übersetzung, und Hinc ist die sorabisierte
Form von Heinz. Manchmal werden, besonders bei Vertretern der
sorbischen Intelligenz, beide Familiennamenformen kombiniert:
Schuster-Šewc, Scholze-Šołta. In Abhängigkeit von der
Kommunikationssituation kann ein und dieselbe Person Kowar oder
Schmidt, Wićaz oder Lehmann heißen. Bei der
Integrierung sorbischer Personennamen ins Deutsche kam es zum Teil zu tief
greifenden Veränderungen in der Lautung und Schreibung, so wurde obersorb.
Krawc als Krautz eingedeutscht, Zahrodnik als
Sarodnig oder Sarodnick, Smoła als
Schmolle oder Schmole, niedersorb. Kśišank,
obersorb. Křižank als Zschieschang, niedersorb. Kowal
als Koal usw. Die deutschen Namenformen sind überwiegend die
offiziellen Namen und stehen im Ausweis. (→ Sorbengesetze) Das deutsche
Namenrecht lässt nur eine Variante zu, z. B. Krautz oder
Krawc.
Im Unterschied zum Deutschen erfolgt im Sorbischen eine spezielle Kennzeichnung
von Frauen, Söhnen, Töchtern sowie der gesamten Familie mithilfe von Suffixen:
Der Familienname der Frau wird vom Familiennamen des Mannes mithilfe der
Movierungssuffixe -owa, -ina bzw. -yna abgeleitet,
umgangssprachlich oft mit -ka: Hana Nowakowa,
Šołćina, niedersorb. Šołśina (von Šołta), niedersorb.
Nowcyna (von Nowka), obersorb. Wjeńcyna (von
Wjeńka), neben Budarjowa umgangssprachlich auch
Budarka (von Budar). Die Familiennamen der Söhne und der
verheirateten Frauen werden in der Umgangssprache im Obersorbischen mit den
patronymischen Suffixen -ec (aus *-owic oder *-ewic)
oder -ic gebildet, wenn der Vorname nach dem Familienname steht, z. B.
Janakec Pětr, Wjeselic Měrćin, offiziell Pětr
Janak, Měrćin Wjesela bzw. Šołćic Hańža, Kubašec
Marja, offiziell Hańža Šołćina, Marja Kubašowa. Bei
Töchtern werden diese Suffixe auch in der Standardsprache gebraucht: Marja
Domaškec, Leńka Šołćic. Im Niedersorbischen sind bei
Mädchennamen -ojc bzw. -ejc sowie -ic bzw.
-yc üblich: Hanka Starikojc, Kowalejc,
Šołśic, Lažcyc (von Lažki). Jungennamen haben im
Niedersorbischen die possessive Adjektivform auf -owy, -iny
bzw. -yny: Měto Nowakowy, Šołśiny, Lanzyny
(von Langa). Die gesamte Familie wird im Niedersorbischen mit
-owe, -ine bzw. -yne oder -ojc bzw.
-ejc, -ic bzw. -yc gekennzeichnet
(Nowakowe, Šołśine, Starikojc, Kowalejc
,Die Nowaks‘, d. h. ,die Familie Nowak‘), im Obersorbischen mit -ec
bzw. -ic (Nawkec, Šołćic).
Lit.: E. Muka: Słownik dolnoserbskeje rěcy a jeje narěcow, Band III, Pśidanki,
Prag 1928, darin: M´eńa ds. swójźbow a domow/Die niedersorbischen Familiennamen;
W. Wenzel: Studien zu sorbischen Personennamen, Band I, II/1, II/2, III, Bautzen
1987, 1991, 1992, 1994; M. Starosta: Niedersorbisch schnell und intensiv 2,
Bautzen 1992; E. Rzetelska-Feleszko: Serbske mjenja a pomjenowanja, in:
Serbšćina. Najnowsze dzieje języków słowiańskich, Red. H. Faska, Opole 1998; W.
Wenzel: Lausitzer Familiennamen slawischen Ursprungs, Bautzen 1999; W. Wenzel:
Niedersorbische Personennamen aus Kirchenbüchern des 16. bis 18. Jahrhunderts,
Bautzen 2004.