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Traditions­rezess
von Karlheinz Blaschke

Zusatzvertrag zum Prager Frieden von 1635, mitten im Dreißigjährigen Krieg, der die Lehnsübergabe der Markgraftümer Ober- und Niederlausitz an den sächsischen Kurfürsten regelte. Im Latein der Verwaltungsjuristen des 17. Jh. wurde die Übergabe („traditio“) von Grund und Boden als „Tradition“, ein in rechtsverbindlicher Form vollzogener Vertrag als „Rezess“ bezeichnet.

Der Vorgang hatte seinen Ursprung in der Hilfe, die der sächsische Kurfürst Johann Georg I. dem König von Böhmen und deutschen Kaiser Ferdinand II. bei der Niederwerfung des „böhmischen Aufstands“ von 1618 bis 1622 leistete. Eine Gruppe des böhmischen Adels hatte sich gegen die Absicht des habsburgischen Erzherzogs aufgelehnt, nach seiner Wahl zum Kaiser im Sommer 1619 die böhmische Krone zu erlangen; die ständischen Vertreter der Ober- und Niederlausitz pflichteten dem bei und schlossen sich der Confoederatio Bohemica an. Der sächsische Kurfürst wahrte die traditionelle Treue zum Hause Habsburg, indem er im September 1620 mit einem Heer in die Oberlausitz vordrang und im Auftrag des Kaisers das Land unter dessen Botmäßigkeit zurückführte. Unter militärischem Druck erkannten die oberlausitzischen Stände im „Dresdner Akkord“ vom 3.3.1621 Ferdinand II. als ihren Landesherrn an, wobei ihnen freie Religionsausübung zugesichert wurde. Damit wurde die in Böhmen durchgeführte Rekatholisierung verhindert. Der Kurfürst als kaiserlicher Beauftragter nahm die vorläufige Huldigung der Stände gegenüber dem König an.

Nach Abschluss der Kampfhandlungen berechnete der Kurfürst dem Kaiser die Aufwendungen, die dieser in seiner angespannten finanziellen Lage nicht begleichen konnte. Für diesen Fall war bis zur künftigen Erstattung der Summe bereits am 6.7.1620 eine Pfandverschreibung auf beide Lausitzer Markgraftümer zugunsten des sächsischen Regenten erfolgt. Als im Fortgang der Kriegsereignisse eine Rückzahlung nicht möglich war, wurde am 13./23.6.1623 in Bautzen ein „Immissionsrezess“ zwischen beiden Verhandlungspartnern geschlossen, mit dem die rechtsgültige Einsetzung des Kurfürsten in den Besitz der beiden Lausitzen vollzogen wurde. Der Rezess bezog sich ausdrücklich auf die Pfandverschreibung von 1620 und legte fest, Ober- und Niederlausitz sollten „pfandsweise realiter und wirklich tradiert, übergeben und eingeräumt“ werden und bis zur völligen Erstattung der Pfandsumme im Besitz des Kurfürsten bleiben.

Dabei sicherte der Kurfürst zu, die Geistlichkeit des Landes mit ihren Privilegien zu schützen, abhanden gekommene Besitzstücke oder Rechte zu erstatten, in Religionssachen keine Neuerungen vorzunehmen und die Stände bei ihren Freiheiten und Rechten zu belassen. Da eine Ablösung nie erfolgte, stellte der Immissionsrezess von 1623 den abschließenden Akt im Übergang der Lausitzen vom Königreich Böhmen an das Kurfürstentum Sachsen dar. Formal wurden beide Markgraftümer als erbliches Lehen an den Kurfürsten persönlich übergeben, der ebenso wie seine Nachfolger streng darauf achtete, dass die Zusicherungen eingehalten und die Lausitzen als selbstständige Territorien mit jeweils eigener ständischer Regierung lediglich in Personalunion mit Kursachsen verbunden wurden.

Dies war in der Oberlausitz für die katholische Minderheit wichtig, die ihre Kirchen und Klöster behielt. Als am 20./30.5.1635 im Prager Frieden die Bestimmungen von 1623 erneut Bestätigung fanden, garantierte der Kurfürst den Schutz der katholischen Geistlichen und Stände, namentlich des Domstifts zu Bautzen, der Klöster St. Marienstern (Panschwitz-Kuckau), St. Marienthal (Ostritz) und Lauban sowie der Abtei Neuzelle in der Niederlausitz. Zu deren Besitzungen zählte hauptsächlich sorbisches Siedlungsgebiet. Er verpflichtete sich, die Klöster und Stifter nicht aussterben zu lassen und bei Todesfällen wieder Katholiken einzusetzen. Am 24.4.1636 kam in Görlitz die „völlige Tradition“ der beiden Lausitzer Markgraftümer in einem abschließenden Rechtsakt zustande.

Der Traditionsrezess erwies sich als eine Art Grundgesetz für die folgenden 200 Jahre Lausitzer Geschichte. Indem er die böhmische Oberlehnsherrlichkeit über die beiden Markgraftümer feststellte, bestand ein starker Rückhalt für die Bewahrung der mittelalterlichen Landesverfassung, die in Sachsen mit Rücksicht auf die Stellung des Kaisers und des Hauses Österreich bis Mitte des 19. Jh. respektiert wurde. Das Lehnswesen war im 18. Jh. gegenüber dem neuzeitlichen Staatsrecht längst geschwächt und lebte nur noch in erstarrten Formen weiter. In der Oberlausitz galt die mittelalterliche Landesverfassung weiter. Auf dieser Basis konnte die alte Ordnung bewahrt und die „Verstaatlichung“ des Landes nach sächsischem Vorbild verhindert werden. Die feudale Dezentralisierung blieb zum Nutzen des sorbischen Volkes und der katholischen Kirche bestehen, in der Niederlausitz und der preußischen Oberlausitz bis 1815, in der sächsischen Oberlausitz bis 1831.

Lit.: H. Knothe: Der Anteil der Oberlausitz an den Anfängen des 30jährigen Krieges 1618–1623. Dresden 1880; H. Knothe: Die Oberlausitz während der Jahre 1623 bis 1631, von der Pfandübergabe an Kursachsen bis zum Beginn des Krieges mit dem Kaiser, in: Neues Lausitzisches Magazin 65 (1889); F. Müller: Kursachsen und der Böhmische Aufstand 1618–1622, Münster 1997.

Metadaten

Titel
Traditions­rezess
Titel
Traditions­rezess
Autor:in
Blaschke, Karlheinz
Autor:in
Blaschke, Karlheinz
Schlagwörter
Gesetz; Glaube; Territorium; Religion; Landesgeschichte; Geschichte 1618–1648; Dreißigjähriger Krieg; Böhmen; Sachsen; Oberlausitz
Schlagwörter
Gesetz; Glaube; Territorium; Religion; Landesgeschichte; Geschichte 1618–1648; Dreißigjähriger Krieg; Böhmen; Sachsen; Oberlausitz
Abstract

Zusatzvertrag zum Prager Frieden von 1635, mitten im Dreißigjährigen Krieg, der die Lehnsübergabe der Markgraftümer Ober- und Niederlausitz an den sächsischen Kurfürsten regelte.

Abstract

Zusatzvertrag zum Prager Frieden von 1635, mitten im Dreißigjährigen Krieg, der die Lehnsübergabe der Markgraftümer Ober- und Niederlausitz an den sächsischen Kurfürsten regelte.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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