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Spreewald
von Christel Lehmann-Enders und Alfred Roggan

Etwa 75 Kilometer langes und bis zu 16 Kilometer breites Niederungsgebiet in der Niederlausitz nordwestlich von Cottbus, das seine Entstehung dem geringen Gefälle der mittleren Spree von 10 bis 15 Zentimeter je Kilometer Lauflänge verdankt. Für den 1328 erstmals urkundlich erwähnten Spreewald (sorb. Błota ‘Sumpfland’) und seine einzelnen Areale wurde noch im 18. Jh. eine größere Ausdehnung mit erheblichen Sumpf- und Urwaldanteilen angegeben. Dabei wird neben dem Jänschwalder Spreewald auch ein Storkower Spreewald genannt. Vor 1800 heißt es, dass er sich „von Jänschwalde an (…) ehedem bis an den Neuendorfer See, ohnweit Leibsch erstreckt habe“. Im 19. Jh. wurde nach umfangreichen Meliorationsmaßnahmen die bis heute gültige Ausdehnung vom Bereich Fehrow bis zum Neuendorfer See fixiert. Seitdem ist auch die Unterteilung in Unter- und Oberspreewald mit Lübben als Schnittstelle gebräuchlich, wobei der Unterspreewald etwa ein Drittel und der Oberspreewald zwei Drittel der Fläche einnehmen, während der Malxe-Bereich um Peitz und Jänschwalde seit Anfang des 20. Jh. nicht mehr dem Spreewald zugerechnet wird.

Holzbrücke über ein Spreefließ bei Burg (Spreewald), 1992; Fotografin: Iris Brankatschk

Politisch war der Spreewald nie in einer Verwaltungsstruktur vereinigt, sein Gebiet bis 1806 auf Brandenburg bzw. Preußen und Sachsen verteilt, nach 1815 den Kreisen Calau, Cottbus und Lübben zugehörig. Derzeit leben in den 37 Dörfern und drei Städten (Lübben, Lübbenau, Vetschau) etwa 50 000 Menschen (2010). Ein 475 Quadratkilometer großes Areal trägt die UNESCO-Kennzeichnung „Biosphärenreservat Spreewald“.

Ein Begräbnis im Spreewald, Holzstich nach einer Zeichnung von Hermann Lüders, 1869, in: Illustrierte Zeitung 26 (20.3.1869) 134; Repro: Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Erste urgeschichtliche Siedlungsnachweise gibt es für den Spreewald bereits seit der Mittelsteinzeit. Nach einer siedlungslosen Phase ist seit dem 6. Jh. sowohl von der Elbe wie der Neiße ein Vordringen slawischer Stämme in die heutige Niederlausitz belegt. Dabei ist der aus dem Südosten kommende Stamm der Lusizer namengebend für die Lausitz geworden, er fällt in der Frühzeit durch seine markante Keramik des Tornower Typs auf. Die Ackerbau treibenden Slawen nahmen meist die Randzonen von Niederungen und Tälern ein. Die Lusizer errichteten Fluchtburgen (→ Burgwälle), die sich oft neben ihren drei bis vier Kilometer auseinanderliegenden Siedlungen (Rundlingsdörfer) befanden. Ihre Infrastruktur wurde seit dem 10. Jh. durch die deutsche Ostexpansion überlagert. Es kam in der Folge im Unter- wie auch Oberspreewald zur Anlage von Zeilen-, Straßen- und v. a. Angerdörfern sowie deren Einbindung in typisch mittelalterliche Hufen- und Gewannstrukturen. Nur bei Dorfanlagen auf Talsandinseln, so in Lehde, finden sich Blockfluren, die als Ergebnisse des mittelalterlichen Landesausbaus anzusehen sind. An den Prozessen der Kolonisation des 10. und 11. Jh. waren nach heutigen Erkenntnissen bis zu 90 % Sorben beteiligt, ersichtlich aus den zahlreichen sorbischen Ortsnamen, Flurnamen und Fließbezeichnungen (→ Gewässernamen).

Kirchgang in Burg (Spreewald), 1950; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Der innere Spreewald galt jahrhundertelang als siedlungsfeindlich und blieb bis zum 18. Jh. nahezu unerschlossen. Die große sumpfige Niederung war nur bei den Orten Fehrow und Lübben zu durchqueren. Daher blieb der Siedlungskranz der Dörfer, mit Ausnahme der Orte Leipe und Lehde, auf die trockeneren Randbereiche sowie einige günstig gelegene Talsandinseln (z. B. das alte Burg) beschränkt. Die Bauweise war lange Zeit derjenigen anderer Landschaften in der Niederlausitz ähnlich, d. h. bei Holzreichtum wurden vielfach Blockbauten errichtet; der aus Holzspargründen angeordnete Fachwerkbau hat sich im inneren Spreewald wegen des sumpfigen Untergrunds nie durchgesetzt.

Kahnbauer, 1953; Fotograf: Erich Rinka, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Die Landwirtschaft wurde durch die Hufenverfassung bis ins 19. Jh. von der Dreifelderwirtschaft bestimmt, bei günstiger Lage auch als Zweifelderwirtschaft, jedoch stets unter Beibehaltung des Flurzwangs. Für die Tierhaltung waren Waldweide und Hutungen sowie Mähwiesen erforderlich. Jagd und Fischfang blieben fiskalisches bzw. grundherrliches Privileg. Eine fast gegensätzliche Wirtschaftsform bedeutete die im sächsischen wie im preußischen Spreewald nach dem Dreißigjährigen Krieg betriebene innere Kolonisation. Dabei sollten durch angeworbene („ausländische“) Kolonisten brachliegende, versumpfte oder ungünstig gelegene Gebiete urbar gemacht werden. Dies geschah ab Mitte des 18. Jh. in bzw. bei den Orten Buchholz, Burg-Kolonie, Neu-Byhleguhre, Radensdorf, Saccasne und Schlepzig. Die umfangreichste Kolonisation fand im Burger Spreewald statt; ihren Anfang verdankte sie einem für den deutschen Raum einzigartigen Ansatz: Es wurde auf preußisch-fiskalischem Land (den „Kaupen“, von sorbisch kupa ,Insel‘) ohne staatliche Kenntnisnahme, Planung oder Privilegierung von Burger Hofinhabern bzw. ihren nicht erbberechtigten Kindern zwischen 1700 und 1725 eine Siedlungsstruktur mit über 100 Gehöften geschaffen (das Altdorf Burg wies nur 74 Hofstellen auf). Aus diesem, die natürlichen Gegebenheiten berücksichtigenden Siedlungsgebilde ist das Dorf Burg-Kauper hervorgegangen. Erst 1725 wurden Vertreter der preußischen Kriegs- und Domänenkammer auf diese Kulturleistung der Sorben aufmerksam. Unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen, darunter Gebäudeabbrüche, setzten sie die Steuerzahlung durch und bestätigten danach den Schöpfern die weitere Nutzung. Die Kolonisation des 18. Jh. – bes. aber die vorangegangene Kaupen-Besiedlung – führte im inneren Spreewald zur Entwicklung neuer Hausformen: Das Giebelkammerhaus sowie ein kombiniertes Block-/​Fachwerkgebindehaus stellten eigenständige, funktionell-ästhetische und von Sorben geschaffene Hausformen dar, die den extremen Bedingungen der Region teils über 200 Jahre standhielten. Viele dieser Spreewald-Blockhäuser stehen unter Denkmalschutz (→ Denkmale).

Altes Bauernhaus in Lehde, um 1955; Fotograf: Ernst Tschernik, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Viehtransport per Kahn im Spreewald, 1954; Fotograf: Kurt Heine, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Ab dem 19. Jh. dominierte mit dem Gemüseanbau (Gurken, Meerrettich, Rhabarber, Zwiebeln) die Produktverarbeitung über den Eigenbedarf. Den Absatz der Produkte garantierte die Großstadt Berlin, die spreeabwärts leicht zu erreichen war. Einen Aufschwung nahm der Gartenbau im letzten Drittel des 19. Jh., als der Spreewald durch Straßen- und Eisenbahnbau Anbindungen an überregionale Märkte erhielt. Mit der Verkehrserschließung wuchs der Tourismus. Viele Bauern betätigten sich an den Wochenenden als Kahnfährleute, Gastwirte oder Pensionsbetreiber. Die Eigenart der Spreewaldlandschaft, die markanten Blockbauten sowie das Erleben sorbischer Alltags- und Festkultur bilden seitdem einen Anziehungspunkt für Besucher aus dem In- und Ausland, obgleich das Umland seit der DDR-Zeit von landwirtschaftlichen Großbetrieben, Tagebauen und Energieanlagen geprägt ist.

Bis ins ausgehende 18. Jh. überwog im Unterspreewald die niedersorbische Sprache. Sprachverbote, wie etwa 1430 für die Herrschaft Lübbenau erlassen, blieben im späten Mittelalter selten. Nach der Reformation wurde durch Gottesdienste und Verkündigung in der Muttersprache das Sorbische aufgewertet und gestärkt. Im 17. und 18. Jh. sind jedoch obrigkeitliche Maßnahmen durchgesetzt worden, die im preußischen und im sächsischen Unterspreewald – wie auch im angrenzenden Kurmärkisch-wendischen Distrikt – zur Assimilation der Bevölkerung führten. Das 19. und das frühe 20. Jh. waren auch im Spreewald von staatlich betriebener Verdrängung der sorbischen Sprache in Schule und Kirche gekennzeichnet. Die Einstellung der Predigt erfolgte in Lübben spätestens 1819, in Lübbenau 1867 und in Vetschau endgültig 1932; in den ländlichen Bereichen des Oberspreewalds dauerte die kirchliche Sprachverwendung meist bis in die 1920er Jahre an.

Typischer Heuschober „Stog“ im Spreewald, 1956; Fotograf: Ernst Tschernik, Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

Für die Pflege des Sorbischen setzten sich einige deutsche wie sorbische Pastoren ein, so die in Lübbenau wirkenden Oberpfarrer und Sprachkundler Jan Chojnan, Johann Gottlieb Hauptmann (→ Grammatiken, → Gesangbuch), Kito Fryco Stempel (→ Literatur, → Lyrik), Měto Korjeńk und Jan Bjarnat Krušwica.

Mina Witkojc; Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

In Literatur, Bildender Kunst und Film hat der Spreewald zahlreiche Spuren hinterlassen. Theodor Fontane besuchte 1859 die Gegend und würdigte die sorbische Bevölkerung sowie Oberpfarrer Stempel in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Bis 1876 verbrachte der Volkskundler Wilibald von Schulenburg mehrere Jahre in Burg und studierte die Erzähl-, Bau- und Alltagskultur der Spreewaldbewohner. Auch der Arzt, Anthropologe und Politiker Rudolf Virchow hat mit Grabungen und Veröffentlichungen das Interesse der Fachwelt auf den Spreewald gelenkt. Mit dem heimatlichen Spreewald tief verbunden waren der in Werben geborene und später in den USA wirkende niedersorbische Dichter Mato Kosyk und die aus Burg stammende Publizistin und Lyrikerin Mina Witkojc (deutsche Auswahl „Echo aus dem Spreewald“, 2001). Im 19. und 20. Jh. widmeten sich Künstler wie Christian Gottlob Hammer, Carl Max Krüger, Adolf Burger, Philipp Franck, Paul During und Fryco Latk dem Spreewald in Landschafts- und Genremalerei. Fremdenverkehrsämter warben ab Ende der 1920er Jahre mit volkstümlichen Theater- und Heimatspielen oder großen Trachtenfesten für einen Besuch der Region. Eine zentrale Sehenswürdigkeit bildet heute das 1957 gegründete Freilichtmuseum in Lübbenau-Lehde, das die Lebens-, Arbeits- und Baukultur des Spreewalds und seiner Bewohner festhält. Auch die im Spreewald getragene Tracht zeigt spezifische Züge: Typisch sind die große Haube, das große Kopftuch (niedersorbisch lapa) und der mit Samt- und Seidenbändchen sowie Spitzen besetzte Rock.

Lit.: F. C. Franz: Der Spreewald in phisikalisch-statistischer Hinsicht, Görlitz 1800; Der Spreewald und seine Bewohner, bearb. von E. Kühn, Cottbus 1889; Geschichte der Spreewaldstadt Lübbenau, Hg. P. Fahlisch, 2. Aufl., Lübbenau 1928; L. Balke: Die Tracht der Sorben um Lübbenau, Bautzen 1976; Burger und Lübbenauer Spreewald. Werte der deutschen Heimat, 2. Aufl., Weimar 1994; A. Roggan: Das Amtsdorf Burg und die Kaupenbesiedlung, Burg 2007.

Metadaten

Titel
Spreewald
Titel
Spreewald
Autor:in
Lehmann-Enders, Christel; Roggan, Alfred
Autor:in
Lehmann-Enders, Christel; Roggan, Alfred
Schlagwörter
Besiedlung; Lusizer; Brandenburg; Preußen; Sachsen; Niederlausitz; Spree; Sumpfland; Melioration; Landesausbau; Blockbau; Innere Kolonisation; Hausform; Gemüseanbau; Tourismus; Assimilation; Bildende Kunst; Trachtenfest; Freilichtmuseum; Biosphärenreservat
Schlagwörter
Besiedlung; Lusizer; Brandenburg; Preußen; Sachsen; Niederlausitz; Spree; Sumpfland; Melioration; Landesausbau; Blockbau; Innere Kolonisation; Hausform; Gemüseanbau; Tourismus; Assimilation; Bildende Kunst; Trachtenfest; Freilichtmuseum; Biosphärenreservat
Abstract

Etwa 75 Kilometer langes und bis zu 16 Kilometer breites Niederungsgebiet nordwestlich von Cottbus, das seine Entstehung dem geringen Gefälle der mittleren Spree verdankt. Für den 1328 erstmals urkundlich erwähnten Spreewald wurde noch im 18. Jh. eine größere Ausdehnung mit erheblichen Sumpf- und Urwaldanteilen angegeben.

Abstract

Etwa 75 Kilometer langes und bis zu 16 Kilometer breites Niederungsgebiet nordwestlich von Cottbus, das seine Entstehung dem geringen Gefälle der mittleren Spree verdankt. Für den 1328 erstmals urkundlich erwähnten Spreewald wurde noch im 18. Jh. eine größere Ausdehnung mit erheblichen Sumpf- und Urwaldanteilen angegeben.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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