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Bevölkerungs­statistik
von Měrćin Wałda

Erfassung der Bevölkerung nach Zahl und Struktur; hier insbesondere Volkszählungen, die die Zugehörigkeit zum sorbischen Ethnos berücksichtigen.

Quellen zur sorbischen Bevölkerungsstatistik gibt es bereits seit dem 16. Jh. (Valentinus Mußmann, Bartholomäus Scultetus, Christian Knauthe u. a.), und zwar in Beschreibungen der sprachlichen Situation einzelner Kirchspiele, Herrschaften bzw. Markgraftümer, meist in Visitationsprotokollen oder Denkschriften, nicht zuletzt in Verbindung mit der Absicht einer „gäntzlichen Abschaffung der wendischen Sprache“. Administrative germanisatorische Maßnahmen der spätfeudalen Obrigkeit, das Fehlen eines sorbischen Großbürgertums und das niedrige Prestige der sorbischen Sprache beschleunigten den Germanisierungsprozess (→ Assimilation). Im Vergleich zum ausgehenden 16. Jh. war Ende des 18. Jh. das geschlossene sorbische Sprachgebiet (→ Siedlungsgebiet) auf weniger als die Hälfte (7 000 km2) geschrumpft. Die Anzahl sorbischer Dörfer betrug noch ca. 1 000. Hatte sich die absolute Bevölkerungszahl nach der Erholung vom Dreißigjährigen Krieg in der Lausitz fast verdoppelt, so ist laut Berechnungen bzw. Schätzungen – einschließlich aller offiziellen Angaben – davon auszugehen, dass die Zahl von 250 000 Sorbischsprechern nie überschritten wurde. Eine wichtige statistische Quelle für das 18. Jh. stellt die Stiftung von Jan Michał Budar dar (→ Stiftungen), für die 1767 etwa 200 000 Sorben in Ober- und Niederlausitz registriert wurden.

Größere politische Bedeutung erlangte die Bevölkerungsstatistik während der bürgerlichen Modernisierung. Staatlicherseits wurde sie gern herangezogen, um die Germanisierungspolitik zu kaschieren oder als ethnische Selbstauflösung darzustellen. Sorbische Wissenschaftler setzten dem eigene Untersuchungen entgegen. In seiner Sammlung sorbischer Volkslieder (1841/43) fügte Jan Arnošt Smoler eine ethnische Karte der Sorben an. In den 1880er Jahren ermittelte Arnošt Muka u. a. durch Feldforschungen (→ Volkskunde) eine genauere Zahl und Dichte der sorbischsprachigen Bevölkerung in der Ober- und Niederlausitz. Er zählte auch Personen, die Sorbisch verstanden, es aber nicht anwendeten.

Außerhalb Deutschlands unternahm der polnische Publizist Olgierd Nowina 1938 in einer Studie den Versuch, das sorbische Sprachgebiet sachlich zu beschreiben, das nach seinen Erkenntnissen noch ein geschlossenes Terrain war. Er stützte sich u. a. auf Muka, um die Veränderungen bis etwa 1910 festzustellen. Nowina konnte nachweisen, dass sich im Vergleich der Karten von Smoler und Muka weniger Veränderungen ergaben als zwischen 1884 und 1912, d. h. nach der deutschen Reichseinigung. In der Niederlausitz hatten sich die Sprachgrenzen nach innen verschoben, ebenso in der mittleren Lausitz, besonders in der Spremberger Region.

1954 stellte Arnošt Černik alle Statistiken von 1832 bis zum Zweiten Weltkrieg zusammen und berechnete nach demografisch-statistischen Methoden die Anzahl der Personen mit sorbischen Sprachkenntnissen und deren Kinder unter 14 Jahren (diese Erhebungen durften zur DDR-Zeit nicht erscheinen). Er konnte belegen, dass im letzten Drittel des 19. Jh. ein Sprachwechselprozess einsetzte, der in den 1920er Jahren das gesamte evangelische Territorium beider Lausitzen erfasste. Ursachen dafür sah er in der Industrialisierung, die den Zustrom Tausender Arbeiter bewirkte – typisch war der Braunkohlenbergbau, dem zahlreiche sorbische Dörfer zum Opfer fielen –, in ethnisch gemischten Ehen, der Germanisierung in Schule und Kirche, bei Ämtern und Militär. Die evangelischen Sorben wurden zu großen Teilen zweisprachig und gingen nach ein oder zwei Generationen zur deutschen Einsprachigkeit über (→ Zweisprachigkeit). Dagegen bildete die katholische Region, hauptsächlich aufgrund ihrer Insellage und der daraus resultierenden Herausbildung eines eigenen Milieus, noch lange einen relativ intakten Siedlungsraum des sorbischen Ethnikums.

Es gibt keine Statistik der Sorben, die die konkrete ethnische Zugehörigkeit dokumentiert. In den amtlichen Volkszählungen in Preußen war bis 1860 die Familiensprache maßgeblich, ab 1890 wurde jede einzelne Person nach ihrer Muttersprache gefragt. Noch heute wird in amtlichen Statistiken die Beherrschung des Sorbischen als das einzige Identitätsmerkmal aufgefasst, eine Methode, die sachliche und politische Schwierigkeiten verursacht. Denn obwohl die Sprache für ethnische Minderheiten die zentrale Kategorie der Identität bleibt, treten historische, soziale und kulturelle Komponenten hinzu, insbesondere das persönliche Bekenntnis. Das sächsische Sorbengesetz von 1999 legt im § 1 fest: »Zum sorbischen Volk gehört, wer sich zu ihm bekennt. Das Bekenntnis ist frei. Es darf weder bestritten noch nachgeprüft werden.« Nach der politischen Wende von 1989/90 fiel die Geburtenzahl auch in den Lausitzen stark. Obwohl die Werte um 2000 wieder um 10–15 % anstiegen, liegt die Geburtenrate relativ niedrig und weit unterhalb des Niveaus der Vorwendezeit.

Lit.: E. Muka: Statistika łužiskich Serbow, Bautzen 1884–1886; A. Černý: Lužice a lužičtí Srbové, Prag 1912; O. Nowina: Liczba i rozmieszczenie Serbów Lużyckich, Warszawa 1938; E. Tschernik: Die Entwicklung der sorbischen Bevölkerung von 1832 bis 1945, Berlin 1954; F. Mětšk: Die Bedeutung der Budarschen Stiftung (1767) für die sorbische Sprach- und Volkstumsstatistik, Zeitschrift für Slawistik 5 (1960) 2, 3; L. Elle: Sorbische Kultur und ihre Rezipienten, Bautzen 1992; M. Walde: Statistisch demografische Betrachtungen im Oberlausitzer Gemeindeverband »Am Klosterwasser«, Lětopis 51 (2004) 1.

- Statistiken zur Kenntnis der obersorbischen und niedersorbischen Sprache in der Lausitz

Jahr Bevölkerungszahl Ermittler
1767 200 000

Budar’sche Stiftung

1840 165 000

J. A. Smoler

1884–1886 166 067

A. Muka

1905 157 000

A. Černý

1938 111 271 O. Nowina
1955/56 81 000 E. Tschernik
1987 67 000 Institut für sorbische Volksforschung

Entwicklung des sorbischen Sprachgebiets vom Ende des 19. bis Mitte des 20. Jh.; Karte: Iris Brankatschk

Metadaten

Titel
Bevölkerungs­statistik
Titel
Bevölkerungs­statistik
Autor:in
Wałda, Měrćin
Autor:in
Wałda, Měrćin
Schlagwörter
Assimilation; Germanisierung; Demografie; Sprachsituation; Sorbische Sprache(n); Sorben; Minderheit; Sachsen; Brandenburg
Schlagwörter
Assimilation; Germanisierung; Demografie; Sprachsituation; Sorbische Sprache(n); Sorben; Minderheit; Sachsen; Brandenburg
Abstract

Erfassung der Bevölkerung nach Zahl und Struktur; hier insbesondere Volkszählungen, die die Zugehörigkeit zum sorbischen Ethnos berücksichtigen.

Abstract

Erfassung der Bevölkerung nach Zahl und Struktur; hier insbesondere Volkszählungen, die die Zugehörigkeit zum sorbischen Ethnos berücksichtigen.

Enthalten in Sammlung
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Im Sorabicon 1.0 zu finden unter
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